Die Welt des Herrn Willie: Nordkorea

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Das ist jetzt vielleicht etwas melodramatisch, aber hey, es ist das Internet. Ich bin nach Nordkorea gereist. Besser noch, ich bin gesund und munter mit etwa 80 Rollen Film in meinem Rucksack zurückgekommen.

Wir haben so ein eindimensionales Bild von diesem Land. Dem Bild, das wir kennen, mangelt es an Farbe und Lächeln. Aber das wird sich ändern. Ich habe die Lächeln auf Diafilm und gecrosstem Diafim eingefangen, im Mittelformat und in panoramatischem Umfang – Aufnahmen die diese Formate vielleicht nie zuvor gesehen haben. Obwohl ich gerade in der Phase des Scannes und Fertigstellens meiner Alben bin, möchte ich diese Aktion mit meinen allgemeinen Gedanke dazu starten, wie man in der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea analog fotografiert.

Von: wil6ka

Zu sagen, dass Nordkorea ein aufregendes Reiseziel ist, ist eine Untertreibung. Das kleine Land steht auf der Bucket List so vieler Abenteurer und somit war es für mich eine einmalige Erfahrung den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel zu durchqueren. Noch nie zuvor war ich so bedacht darauf, was ich mitnehme und was ich nicht zurücklasse. Während der achttägigen Reise habe ich immer versucht in Bestform zu sein. Nun ja, abgesehen von den durchzechten Nächten mit hochprozentigem Soju.

Dennoch möchte ich direkt bekunden, dass ich meine Zeit in Nordkorea in vollen Zügen genossen habe. Ich liebe diesen Ort und seine Menschen. Und auch die Art wie es eine “innere” Reise war. Ohne Frage ist es ein totalitärer Staat und das hat einen großen psychologischen Effekt auf seine BürgerInnen und seine Reisenden. Und um niemanden wegen ihrer oder seiner Freundlichkeit mir gegenüber in Schwierigkeiten zu bringen, werde ich alle NordkoreanerInnen in meinem Artikel Herr oder Frau Kim nennen. Wahrscheinlich ist das nicht weit weg von der Wahrheit, aber trotzdem in hohem Maße ein Codename.

Von: wil6ka

Jede Reisegruppe in Nordkorea hat mindestens zwei Reiseführer die bei jedem Schritt dabei sind, den die Touristen machen, üblicherweise zwei Herr Kims oder ein Herr und eine Frau Kim. Es ist ein Gegenprüfungssystem das wahrscheinlich im ganzen Land betrieben wird. Die Kims waren sehr erstaunt über die fünf Kameras, die ich überall dabei hatte, über die Tatsache, dass ich analog fotografierte und über die Art wie ich fotografierte was ich sah. Für sie muss ich wie ein Freak ausgesehen haben, was wahrscheinlich nie gut ist in einem Land voller Restriktionen. Aber ich frage mich immernoch, ob das ein Vorteil für mich war oder nicht. Vielleicht lag alles auch einfach nur an der Sympathie. Die Kims dachten bestimmt, dass ich sehr eigenartig war, aber sie mochten mich. Und deshalb akzeptierten sie meine Peinlichkeit und ließen mich in Ruhe.

Da hast du es. Wenn du Menschen magst, mögen sie dich vielleicht einfach zurück.

Von: wil6ka

Es gibt ein paar Regeln für das Fotografieren, die BesucherInnen bei der Ankunft erklärt werden. Militärangehörige oder Personen in Uniform dürfen nicht fotografiert werden. Das ist hart weil 40% aller ArbeiterInnen SoldatInnen sind. Bilder des geliebten großen Anführers, des großen Generals und des großen Marshalls zu knicken ist ebenfalls nicht erlaubt.

Auf dem Land wird man ebenfalls darum gebeten nicht zu fotografieren. Auch bei Baustellen bitten sie Menschen das Fotografieren zu unterlassen. Wir haben versucht uns an die Regeln zu halten, insbesondere bei den Soldaten. Aber unsere Reiseführer waren nicht so streng als wir durch ländlichen Gegenden fuhren. Vielmehr haben sie Witze darüber gemacht, dass ich eine eigenartige Person bin, die vermutlich mehr ist als es den Anschein hat. Das hat die Anspannung allerdings hoch gehalten.

Von: wil6ka

Ob ich analog oder digital fotografieren wollte war nie eine Frage für mich: analog soll es sein. Natürlich gab es einige Herausforderungen beim Fotografieren auf Film in Nordkorea. Aber auch viele großartige Möglichkeiten. Es blieb immer nur wenig Zeit zum Fotografieren, und ich meine sehr wenig. Im Prinzip sind wir durch die Monumente und historischen Orte gerannt. Es gab einen engen Zeitplan. Weil ich die ganze Zeit Filme wechseln musste, war ich immer der Letzte und konnte nur ein paar wenige Aufnahmen machen. Natürlich wusste ich nie wirklich ob das erfolgreich war, weil ich mich nur auf meine Fähigkeiten verlassen musste.

Ich nahm eine Plaubel Makina 67 für meine Mittelformataufnahmen, aber war wirklich glücklich, dass Lomography die LC-A 120 rausgebracht hat. Ich dachte gleich, dass das die perfekte Kamera sein könnte um sie mit nach Nordkorea zu nehmen, denn wenn es nicht viel Zeit für das Fokussieren gibt, ist es klüger, sich auf Zonenfokus zu verlassen. Durch die LC-A+ und die LC-Wide sind LomographInnen wirklich geübt darin sich mit der Kamera in den richtigen Abstand zu begeben. Das Gleiche gilt für die richtige Belichtungszeit.

Als wir in Pjöngjang in die Metro gegangen sind, war ich so glücklich, dass die LC-A 120 halbautomatisch funktioniert. Es ging um so viel, die Zeit war so knapp und es gab so viel zu fotografieren. Von außen sieht die LC-A 120 niedlich und eher unprofessionell aus, was ein großer Vorteil ist, wenn der Fotograf selbst nicht auf irgendeine Weise verdächtig wirken möchte. Außerdem können die mit ihr gemachten Aufnahmen nicht über ein Display kontrolliert werden. Also bin ich wirklich an die Grenze gegangen und habe ein paar Aufnahmen heimlich gemacht. Letztlich hatte ich die LC-A 120 die ganze Zeit um meinen Hals hängen. Im Endeffekt mögen es die Touristenführer, wenn von ihrem Land Fotos gemacht werden, weil sie stolz auf es sind. Für sie ist es der beste Platz auf Erden. Besonders Pjöngjang ist voller großartiger architektonischer Sehenswürdigkeiten.

Von: wil6ka

Anders als die meisten Touristen, hatte ich kein wirkliches Interesse daran, Fotos von Einheimischen mit mir selbst zu machen. Ich wollte sie unverfälscht, einfach nur sie alleine. Hier und dort habe ich Menschen gefragt und sie haben entweder zugestimmt oder abgelehnt. Ich meine, jeder Tourist ist dort ziemlich fremd, weil nur so wenige Menschen dorthin kommen. Deshalb gibt es immer eine große Neugierde, insbesondere von den Kindern. Ältere NordkoreanerInnen hatte vielleicht in der Vergangenheit aus irgendeinem Grund Probleme bekommen, deshalb haben sie schon zu viel darüber nachgedacht und haben manchmal Angst davor fotografiert zu werden.

Außerdem verstehen viele das Konzept einen Porträts nicht wirklich. Ich denke als Kollektiv spielt die Gruppe eine viel größere Rolle in der nordkoreanischen Gesellschaft als das Individuum. Viele Menschen verstehen einfach nicht, was an ihnen als Person so interessant sein soll. Sie sind mega-bescheiden und wollen sich nicht ins Rampenlicht begeben. Sie wissen sogar nicht was man vor einer Kamera tut, aber das hat auf seine eigene Art ein paar sehr ehrliche und wahrhaftige Bilder erschaffen.

Von: wil6ka

Die größte Herausforderung war es die Filme aus dem Land heraus zu bringen. Ich hatte acht Tage überstanden ohne Probleme zu bekommen und ich drückte die Daumen, dass kein Geheimagent mein Hotelzimmer besuchen würde während ich unterwegs war und einen großen Magneten an meine Filme halten würde um alles zu löschen. Aber als die letzten Tage näher rückten wurde ich immer nervöser.

Wir hatten vor den Zug von Pjöngjang nach Peking zu nehmen. Anja, meine Mitreisende und Organisatorin der Reise erwähnte eine Geschichte die ihr in genau diesem Zug vor zwei Jahren passiert ist. Alle ihre Digitalfotos wurden kontrolliert und die Grenzkontrolle kam aus der Nachbarkabine mit einer Tasche voller Filme. Sie hatten sie alle mitgenommen. Ich war sehr besorgt und hätte sie beinahe alle über den DHL-Service im Hotel verschickt, was dumm gewesen wäre, weil sie dann endgültig aus meinen Händen gewesen wären.

Von: wil6ka

Was mich zu einer sehr verdächtigen Person gemacht hat, war die schiere Menge Filme, die ich dabei hatte. Weil ich nach meinem Aufenthalt in Korea nach China weiter wollte, hatte ich mindestens 150 Rollen Film dabei. Ich ließ mir einen Notfallplan einfallen: Mein Reiseführer schrieb mir einen Brief auf Koreanisch der besagte, dass ich Tourist bin und dass ich nur Fotos von Freunden und Landschaften gemacht habe und dass die Menge an Film mit meiner weiteren Reise zu tun hat. Aber dieser Plan sollte nur umgesetzt werden, wenn ich in Schwierigkeiten kommen sollte.

Als ich meine Filme überprüft habe, bin ich auch über ein Problem gestolpert, das vielleicht nur FotografInnen verstehen. Ich hatte einen 35mm Schwarzweißfilm dabei, der früher für die Verkehrsüberwachung genutzt wurde. Der Maco Eagle AQS hat wahrscheinlich eine infrarotempfindliche Emulsion und deshalb sehr starke Kontraste. Aber auf dem Film steht: S-U-R-V-E-I-L-L-A-N-C-E (Überwachung)! Wie erklärt man einem Soldaten deine merkwürdige Vorliebe für abgelaufene Filme, wenn diese offensichtlich aussehen wie der Lieblingsfilm von Geheimagenten?

Was ich also getan habe, war die aufgeklebten Ettiketten von allen verdächtigen Rollen Film abzureißen, wofür ich einige Stunden gebraucht habe. Und dann habe ich alles dem Schicksal überlassen. Ich habe noch nicht einmal irgendwelche Filme versteckt. Im Prinzip habe ich sie oben in meine Tasche getan, weil sie sie eh überprüfen würden. Warum es ihnen also schwer machen?

Von: wil6ka

Wir erreichten die Grenze und ich habe mein Pokerface aufgesetzt. Der erste Soldat kam um unsere Visa einzusammeln, was Faltblätter waren die wir immer bei uns hatten. Der zweite Soldat kam um unsere Pässe zu nehmen und der dritte überprüfte, ob wir die Handys, die bei der Einreise registriert wurden, mitgenommen hatten und sie nicht bei einem Einwohner gelassen hatten.

Der vierte Soldat kam um das Gepäck zu kontrollieren. Ein freundlicher Zeitgenosse, wie es schien. Er kam in unser Abteil und bat um die erste Tasche. Ich stand von der niedrigeren Bank auf um meinem Freund Santosh mit seinem Koffer zu helfen. Beim Aufstehen habe ich mir den Kopf ein wenig an der oberen Bank gestoßen. Wegen dem Adrenalinrausch habe ich nichts gespürt. Aber der Soldat war mitfühlend und stand auf um meine Kopf zu streicheln, was für uns irgendwie das Eis gebrochen hat. Wir haben die Tasche aufgemacht und er schaute sie sich oberflächlich an und überprüfte sie etwas mit der Hand. Das wars. Und ich dachte, dass ich besser alle meine Filme versteckt hätte, weil er er nur oberflächlich geprüft hat. Jetzt bin ich in Schwierigkeiten.

Ich war als nächstes dran. Ich griff nach meinem Rucksack, der auf der oberen Bank gegenüber lag. Er ist schwer. Ich zog ihn stückweise raus, lasse mir Zeit. Dann plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um, es ist der Soldat. Er nickte und sagte es sei OK. ich musste ihm meine Tasche nicht zeigen. Wie sich herausstellte war ich der einzige im gesamten Wagen, der sein Gepäck nicht vorzeigen musste.

Was eine Krönung. Ich war der glücklichste Mensch in ganz Nordkorea.

Von: wil6ka

geschrieben von wil6ka am 2015-09-23 in #Orte #location #herr-willie #north-korea #nordkorea #wilk6a
übersetzt von elenya-y

Erwähntes Produkt

Lomo LC-A 120

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Die Photoblographer Editor's Choice Award Winner "Die beste Kamera für Straßenfotografie: analog oder digital. So ziemlich nichts kann ihr das Wasser reichen!"

7 Kommentare

  1. nanigo
    nanigo ·

    Großartig! Das klingt nach einer sehr aufregenden Reise! Ich bin sehr neidig! Toll, dass es alle Filme rausgeschafft haben! Ich freu mich schon auf mehr!

  2. sushi_9009
    sushi_9009 ·

    wenn es einen FotoGott gibt, dann war er auf deiner Seite ;)) hab mich auch schon gefragt, wie du es mit der Menge an Filmen "rausgeschafft" hast, ohne in Schwierigkeiten zu geraten...zum Glück ging alles gut. :))

  3. julea
    julea ·

    Sehr spannend!

  4. zonderbar
    zonderbar ·

    @wil6ka ist einfach ein Glückspilz ;)

  5. alightthatnevergoesout
    alightthatnevergoesout ·

    ..was für ne tolle Geschichte! Liest sich ultra spannend :)

  6. emmka
    emmka ·

    Danke für deinen Reisebericht. Die Bilder kenne ich ja bereits...

  7. baxx
    baxx ·

    Spannend! Klasse!

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