I HATE WALKING – Ein analoges Fotoprojekt von Paul Muders

2
Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Deutschland ist ein Land der Vereine – über 600.000 waren es 2023. Sie sollen Menschen mit gemeinsamen Interessen vernetzen, ein wertschätzendes Umfeld bieten und Orte der Anerkennung sein. Genau danach suchte auch Fotografie-Student Paul Muders, der während einer Phase psychischer Schwierigkeiten im Radfahren einen neuen Ausgleich fand. Schnell merkte er aber, dass die Realität oft von der Theorie abweicht. Aufgrund von Normen zu körperlicher Leistung, kostspieligem Equipment oder Aussehen fühlte er sich auch als sportlicher Cis-Mann in der Szene nur wenig willkommen. Mittlerweile organisiert Paul mit seiner Partnerin eigene Gruppenfahrten und möchte mit dem Fotoprojekt »I HATE WALKING« stärker auf Diversität im Radsport aufmerksam machen. Wir haben mit ihm über sein Herzensprojekt gesprochen und warum er es analog und mit dem Color Negative 800 120 von Lomography umsetzt.

Lieber Paul, willkommen im Online Magazin von Lomography! Bitte stell dich unseren Leser:innen kurz vor.

Hallo! Ich bin Paul, 27 Jahre alt und ich studiere derzeit »Visual Journalism and Documentary Photography« an der Hochschule Hannover und arbeite parallel freiberuflich als Fotograf. Vor meinem Studienbeginn arbeitete ich beim Werbefilm in Düsseldorf und zu der Zeit fing ich an, neben der digitalen Fotografie, viel analog zu fotografieren. Zunächst faszinierte mich Schwarz-Weiß-Film im Mittelformat total und eröffnete einen ganz neuen Blick auf die Fotografie. Mit der Zeit, im Beruf als Kameramann und Editor, interessierte ich mich immer weniger für die Werbung und es zog mich viel mehr zur künstlerischen Arbeit. Also bewarb ich mich an der Folkwang Universität der Künste in Essen und studierte dort ab dem Winter 2020 für fünf Semester im Fach »Fotografie« mit einem starken Fokus auf die analoge Arbeit. Aus persönlichen Gründen lebe ich jedoch nun glücklicherweise im Umland von Hannover und lerne durch das eher journalistische Studium hier noch eine weitere Sichtweise auf das Medium kennen.

Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Du arbeitest gerade an einem Projekt zu marginalisierten Personen im Radsport. Wie kam es zu dieser Idee?

Das Radfahren ist seit gut drei Jahren ein essenzieller Teil meines Lebens. Nach einem psychischen Zusammenbruch Anfang 2021, brauchte ich eine neue Aktivität in meinem Leben; etwas fernab von der bildenden Kunst und der Arbeit, etwas »einfaches«, körperliches, eine Aktivität an der frischen Luft. So kam ich zu meinem ersten vernünftigen Fahrrad. Ich war sofort total begeistert, integrierte das Radfahren in meinen Alltag und war ein paar Monate später auf der Suche nach gleichgesinnten Radfahrenden, um den Sport im Alltag nicht immer nur alleine auszuüben. Schnell bemerkte ich, dass es sich als eine sehr große Hürde herausstellte, einer Gruppe oder auch einem Verein beizutreten. Es gibt überall gewisse Normen, die erfüllt werden müssen, um dazuzugehören. Sei es die körperliche Leistung, das teure Equipment oder auch das Aussehen und die Kleidung. Ich versuchte mich trotzdem anzupassen, aber fühlte mich sehr unwohl dabei. Vermutlich begann zu diesem Zeitpunkt die Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn auch ich, als eher sportlich aussehender CIS-Mann fühlte mich nicht willkommen und immer wieder ausgegrenzt, obwohl es doch so eine tolle und bereichernde Sportart ist. Wie soll es dann erst den Personen gehen, die schon auf anderen Ebenen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden?
Seitdem ich in Jeinsen (bei Hannover) wohne, veranstalte ich zusammen mit meiner Partnerin gelegentliche Gruppenfahrten, die sich vor allem an Neuzugänge und FLINTA*-Personen richten. Wir fahren zum Spaß und für die Gemeinschaft. Hier darf (und soll) es egal sein, wie schnell oder langsam du bist, ob du ein hautenges Trikot anhast oder ein schlabberiges T-Shirt trägst. Radfahren soll für alle da sein.
Durch den Kontakt mit den mitfahrenden Personen bin ich auf viele sehr ungerechte und unangenehme Erfahrungen und Situationen innerhalb der Radsport-Szene aufmerksam geworden. Dabei ging es immer wieder um sexistisches Verhalten in einer männlich dominierten Szene, um Trans- und Queerfeindlichkeit bei Gruppenfahrten und Diskriminierungen und Marginalisierungen jeglicher Art.
Viele Formen der Diskriminierung finden nie den Weg in die Öffentlichkeit und somit ins Bewusstsein unserer Gesellschaft. Mit dem Projekt »I HATE WALKING« möchte ich einen sensiblen Blick auf die Welt des Fahrradfahrens werfen, die so viel diverser ist, als die noch gängige Norm des privilegierten, weißen und cis-männlichen Sportlers.

Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Kannst du beschreiben, wie das Konzept dahinter aussieht?

Angefangen hat es zunächst mit einem Aufruf auf Instagram, in dem ich nach Personen suchte, die sich in jeglicher Weise von Marginalisierung und Diskriminierung im Radsport betroffen fühlen. Absolut unerwartet, bekam ich auf diesen Aufruf unglaublich viele Rückmeldungen. Bisher sind es circa 60 Personen, die sich porträtieren lassen möchten und ihre Geschichte und persönlichen Erfahrungen in das Projekt mit einfließen lassen wollen.
Bisher habe ich erst ein paar Personen, hauptsächlich im Umkreis von Hannover, getroffen. Dabei frage ich die jeweilige Person zunächst nach einem Lieblingsort oder nach einem Ort, den sie mit dem Radfahren verbindet. Gemeinsam radeln wir dann eine Runde dort hin und sprechen dabei über persönliche Erfahrungen mit diesem Thema. Angekommen, überlegen wir uns dann gemeinsam stimmige Porträts, suchen nach interessanten Details am Fahrrad und meist entsteht auch eine Landschaftsaufnahme. Im Nachgang stelle ich dann fünf Fragen rund um das Radfahren und persönliche Erfahrungen der Marginalisierung und/oder Diskriminierung. Die jeweilige Person beantwortet diese dann in einem kleinen Fließtext.
Im gesamten Prozess ist mir besonders wichtig, mich persönlich so weit es geht zurückzunehmen. Ich möchte die betroffenen Personen die Fotografien mitgestalten und die persönlichen Geschichten selbst erzählen lassen.
In der nahen Zukunft soll es dann eine Ausstellung geben, in der all diese Personen gefeiert werden. Ich möchte ihre Porträts zeigen, ihre Geschichten in die Öffentlichkeit bringen und einen Raum schaffen, der zum Austausch ermutigt. Da eine Ausstellung leider nur temporär existieren kann, ist zusätzlich eine Print-Publikation mit denselben Inhalten geplant, um dieses Thema in etwas Bleibendem zu manifestieren.

Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Warum hast du dich dazu entschieden, dieses Projekt analog umzusetzen?

Die analoge Arbeitsweise verlangsamt den Prozess des Fotografierens im positiven Sinne. Ich denke mehr über die Bilder nach, bevor ich den Film belichte. Gerade bei Porträts schätze ich es sehr, wenn ich nicht von der Schnelllebigkeit der digitalen Technik abgelenkt bin. Dadurch habe ich das Gefühl, gedanklich mehr im gegenwärtigen Moment und somit bei den Personen sein zu können, die ich gerade porträtiere.
Ein weiterer Punkt ist das Bildformat. Bei den ersten Skizzen für das Projekt stellte ich fest, dass eine vor mir stehende Person, zusammen mit dem Fahrrad, ein Quadrat perfekt ausfüllt. Da kommt die Yashica MAT 124G ins Spiel. Sie produziert quadratische Bilder und ist dabei kompakt und leicht genug, um sie auf dem Rad dabeihaben zu können. Sie verfügt über eine Festbrennweite und bringt dadurch eine weitere Limitierung mit sich, die ich im Prozess als sehr hilfreich empfinde. Natürlich lassen sich alle Bildformate auf ein Quadrat zuschneiden – das hat für mich jedoch einen unehrlichen Beigeschmack und erschwert außerdem die Komposition.

Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Du setzt dabei auf die Color Negative Filme von Lomography. Was schätzt du an ihnen?

Die bisherigen Fotos sind mit dem Lomo CN 800 im Mittelformat entstanden. Der Film gefällt mir besonders gut, weil die hohe Lichtempfindlichkeit sehr viel Flexibilität mit sich bringt. Außerdem sorgt der etwas wärmere Grundton des Filmes für eine schöne, aber gleichzeitig auch noch natürliche Farbwiedergabe. Dabei schätze ich die warmen Hauttöne besonders. Gleichzeitig lässt sich der Film nach meiner Erfahrung ohne Probleme ein paar Blenden überbelichten und liefert trotzdem wunderbare Scans. Dadurch können die Kontrastwerte und auch die Farbwiedergabe leicht beeinflusst werden, was mir bei dem angestrebten Look für dieses Projekt sehr zugutekommt. Auch bei normaler Belichtung auf ISO 800 fällt das Filmkorn bei den großen Mittelformat-Negativen nicht unangenehm auf, sondern sorgt für einen subtilen Charakter. Es ist also egal, ob ich gerade ein Bild bei Sonnenschein oder auf einem dunkleren Waldweg machen möchte – der Film macht das alles mit und ich kann das Stativ zu Hause lassen. Das wäre nämlich auf dem Fahrrad wirklich etwas unhandlich.

Paul Muders + Lomography Color Negative 120 ISO 800

Zu guter Letzt: Gibt es noch etwas, was du mit unserer Community teilen möchtest?

Puh, gute Frage! Es hört sich zwar super cheesy an aber vor allem in der kreativen Arbeit möchte ich dazu animieren, nach sich selbst zu suchen und nicht nach einem fremden Ideal zu streben. Seid ehrlich zu und mit euch selbst. Ihr seid alle genau richtig so, wie ihr seid. :)

Vielen Dank für das schöne Interview, Paul!


Wenn ihr wissen wollt, wie es mit Paul und seinem Projekt weitergeht, könnt ihr ihm auf Instagram folgen und seine Website besuchen.

geschrieben von ckolter am 2024-03-15 in #Ausrüstung #Kultur #Menschen #lomochrome-lomography-films-fahrrad-cycling

Lomography Color Negative 800 (120)

ISO 400 ist dir nicht genug? Der Lomography Farbnegativ 800 120 Film wird deine Bilder auch in dunkleren Situationen wunderbar abbilden.

2 Kommentare

  1. drummond
    drummond ·

    Das verstehe ich gut, dass Paul hier so Fahrradenthusiasten und - Individualisten fotografiert.
    Ich fahre auch viel mit einem Spezial-Single-Speed Rad herum und halte mich dabei an kaum eine Konvention.

  2. ckolter
    ckolter ·

    @drummond Danke für deinen Kommentar. Lomography's goldene Regel #10 ist wohl auch abseits der Lomographie immer noch die beste :)

Mehr interessante Artikel