Gui Martinez: Geschichten erzählen im Mittelformat
2 Share TweetWenn es um die kommerzielle Fotografie geht, braucht es heutzutage eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein und Vertrauen ins eigene Schaffen, um analog zu arbeiten. Die Kunden wollen klarerweise schnelle Resultate, Sicherheiten und niedrige Kosten, wodurch sich die Digitalfotografie durchgesetzt hat. Aber trotz all der Widrigkeiten gibt es eine Reihe an Fotografen, die gegen den Strom schwimmen und zeigen, dass die Analogfotografie noch immer das perfekte Medium sein kann.
Der Brasilianer Gui Martinez ist einer dieser Furchtlosen, der als professioneller Fotograf mit Film arbeitet. Er setzt größtenteils auf das Mittelformat, um faszinierende Geschichten mit jedem Bild einzufangen. Ganz gleich, ob er seine Reisen rund um den Globus dokumentiert oder amüsante Editorials für Modemarken konzipiert, seine Bilder sind Zeugen seiner einzigartigen Persönlichkeit. Heute begrüßen wir Gui wieder im Magazin und sprechen über seine Liebe für den Rollfilm 120.
Hallo Gui! Seit deinem letzten Besuch im Lomography Magazin sind ein paar Jahre vergangen! Kannst du dich kurz vorstellen und von deinen Anfängen mit der analogen Fotografie erzählen?
Schön, wieder hier zu sein. Mein Name ist Gui Martinez, ich lebe und arbeite heute als Fotograf und Creative Director in Tokio. Es ist schwer zu sagen, wann ich angefangen habe. Ich erinnere mich daran, wie ich mir mit 8 Jahren von meinem Taschengeld meine erste Kamera gekauft habe. Es war eine billige Kamera, die ich in einem Supermarkt gefunden habe. Das war auch das erste Mal, dass ich Interesse für die Fotografie gezeigt habe.
Mit ungefähr 14 habe ich dann begonnen, mit der alten Kamera meiner Mutter herumzuspielen und viel zu experimentieren, die technische Seite der Fotografie zu verstehen etc. Seitdem ist meine Leidenschaft für die Fotografie ungebrochen. Mit meinem Umzug nach Tokio habe ich mir eine Digitalkamera gekauft und für einige Jahre genutzt. Irgendwann habe ich dann aber gemerkt, dass die Digitalfotografie nichts für mich ist und begann meine komplette Aufmerksamkeit dem Analogen zu widmen.
Du fotografierst hauptsächlich im Mittelformat, um genauer zu sein, auf 120er Diafilm. Wie kam es dazu, dass dieses Format dein Liebling wurde?
Ich liebe wirklich die Farben, die du mit Diafilm bekommst und er verkörpert genau das, wonach ich suche. Ich arbeite auch mit Farbnegativfilm, der auf andere Art und Weise schön ist und sich natürlich auch für Abzüge in der Dunkelkammer eignet. Positivfilm besitzt einen geringeren Tonwertumfang als Farbnegativfilm, wodurch er bei Belichtungs"fehlern" weniger verzeiht. Du musst genauer arbeiten, was deine Einstellungen und Belichtungsmessung betrifft, um die besten Resultate zu erhalten. Dadurch ergibt sich ein kleineres Spektrum an Farben und Kontrasten, wodurch für mich ein kompakteres Bild entsteht, das ausgewogener wirkt.
Welche Mittelformatkameras sind deine erste Wahl?
Mamiya RZ67 and Mamiya 7.
Wie würdest du deine fotografischen Stil beschreiben?
Das ist schwierig zu sagen. Ich werde das oft gefragt. Vielleicht konzeptionelle Fotografie? Sagt ihr es mir!
Viele Unternehmen und Marken sehen heute keinen Sinn mehr in der analogen Fotografie, aber deine Arbeit beweist, warum sie immer noch ihre Daseinsberechtigung hat. Wie überzeugst du deine Kunden, das Risiko der analogen Fotografie bei ihren Werbekampagnen einzugehen?
Ich muss niemanden wirklich überzeugen. Die Kunden, die auf mich zukommen, wissen Bescheid über die Schönheit und den Wert von dem, was ich tu’. Andere interessieren mich nicht und nur selten treffe ich auf Kunden, die das nicht verstehen. In einem Land wie Japan, wo qualitatives Handwerk einen hohen Stellenwert genießt, ist die Filmfotografie eine ziemlich gängige Praxis.
Trotz unterschiedlicher Aufgabenstellungen bei den Projekten scheint dein Style und deine Persönlichkeit immer noch klar durch. Wie findest du die richtige Balance zwischen Kundenwünschen und deinem eigenen Stil?
Die Kunden melden sich bei mir, weil sie genau diesen Look haben wollen. Ich kann mich nicht dazu bewegen, etwas zu fotografieren, was ich nicht ästhetisch ansprechend finde. Dadurch fließt in jedes meiner Projekte meine eigene Persönlichkeit ein.
Unter deinen ganzen Aufträgen, welcher war der schwierigste und warum?
Kann ich nicht wirklich sagen. Manche sind herausfordernd aufgrund der Menge an Fotos, die ich bei schwachem Licht machen muss. Einmal musste ich eine Sommer-Kampagne für Lumine (ein Kaufhaus in Tokio) an einem verregneten Wintertag machen und es musste so aussehen als wäre es mitten im Sommer. Ich brauchte im Regen unzählige Lichtquellen und mussten sogar das Gras grün anstreichen!
Hast du schon mal die 120er Filme von Lomography getestet?
Jup. Ich hatte Spaß beim Herumspielen mit demLomochrome Purple Film. Vor einem Launch hat mir Lomography außerdem auch mal ein paar Objektive zum Testen geschickt und ich habe dafür eure Filme genutzt.
Du machst auch verträumte Reisefotos. Wie fühlt es sich an, ganz nach deinen eigenen Ideen und Vorstellungen zu fotografieren, wenn du auf Reisen bist?
Nun, das ist natürlich das Angenehmste für mich und ich fühle mich am sichersten hinsichtlich der Resultate.
Du fotografierst hauptsächlich Porträts. Welche Techniken nutzt du, um das Optimum aus deinem Model herauszukitzeln?
Ich versuche eine angenehme Atmosphäre bei meinen Photoshoots zu schaffen, indem ich mir die Zeit nehme, mich mit meinen Models vertraut zu machen. Dieser Prozess hilft mir ihre Natur zu verstehen und eine Nähe aufzubauen, die für mich beim Porträtieren sehr wichtig ist. Zusätzlich hilft es auch, ihnen ein paar meiner bisherigen Arbeit zu zeigen, wodurch sie einen Eindruck meiner kreativen Vision bekommen.
Warum liebst du das Mittelformat?
Ich liebe allgemein die Qualität der Bilder. Mittelformat kann mehr Details, Farben und Tonwerte einfangen im Vergleich zu kleineren Formaten sowie eine geringe Schärfentiefe dank des größeren Formats.
Hast du irgendwelche Projekte in der nahen Zukunft geplant?
Ich plane meistens nicht weit voraus. Ich bin viel herumgereist und habe on the road verschiedene eigene Projekte umgesetzt. Ich möchte mit Ende dieses Jahr oder irgendwann nächstes Jahr definitiv wieder eine Ausstellung organisieren. Außerdem arbeite ich an einer Gruppenausstellung mit Lisa King, einer großartigen Künstlerin und Freundin aus London/Bangkok, die gerade großartige Arbeiten mit Blumen zeigt.
Gibt es noch einen Ratschlag oder ein paar Worte, die du der Community mitgeben möchtest?
Habt Spaß!
Wir möchten Gui für seine atemberaubenden Bilder und klugen Worte danken. Seine letzten Projekte findest du auf Instagram und seiner Website.
geschrieben von rocket_fries0036 am 2023-11-09 in #Ausrüstung #Kultur #Menschen
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