Münster glüht rot: Marius Wüllhorst und der Lobster Redscale 110
2 Share TweetUnser Communitymitglied marius94 hat leidenschaftlich gerne auf Reisen fotografiert - bis ihm Ende 2021 eine Coronainfektion einen Strich durch die Rechnung machte. Seitdem ist für ihn vieles anders, doch seine Liebe für den Pocketfilm bleibt ungebrochen. In diesem Interview erzählt er uns, wie interessant es sein kann, vor der eigenen Haustüre zu fotografieren und was das winzige 110er Format so besonders macht.
Hallo Marius, es freut uns dich wieder in unserem Online-Magazin begrüßen zu dürfen! Kannst du dich unseren neuesten Mitgliedern nochmals kurz vorstellen?
Ich heiße Marius Wüllhorst, bin 29 Jahre alt und fotografiere jetzt schon etwas mehr als die Hälfte dieser Zeit analog. In diesem Zeitraum habe ich immer wieder neue spannende Kameras, Formate und Techniken ausprobiert. So kreiere ich beispielsweise Filmsoups oder spiele mit bewusst erzeugten Lightleaks. Dieser Drang zum Experimentieren ist ein wesentlicher Bestandteil all meiner Arbeiten und prägt auch meine künstlerischen und musikalischen Projekte, die ich allesamt unter dem Namen noition veröffentliche.
Ein Blick auf dein LomoHome verrät, dass du gerne auf Reisen fotografierst. Wieso hast du dieses Mal deine Heimatstadt Münster ausgewählt?
Es war eher eine notgedrungene Entscheidung, da sich mein Leben seit meiner Coronainfektion Ende 2021 schlagartig verändert hat. Vieles was ich vorher geliebt habe (u. a. Reisen) ist seitdem nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Trotzdem habe ich durch Long-Covid und dem Fatigue-Syndrom enorm viel über das Leben, meinen Körper… und dem Zusammenspiel von allem gelernt. Außerdem bin ich einfach nur beeindruckt und dankbar über den starken Rückhalt aus dem Freundeskreis, der Familie und dem beruflichen Umfeld!

Wo siehst du die Unterschiede, vielleicht auch Schwierigkeiten, beim Fotografieren „vor der eigenen Haustüre“?
Beim Reisen taucht man in eine komplett neue Welt ein. Viele Eindrücke sind Neuland und die Orte kennt man meistens nur aus dem Internet oder Reiseführer. Oft rutscht man dann schnell in einen „Touri-Modus“ und fotografiert wie die meisten Touristen um einen herum aus derselben Perspektive mit einem ähnlichen Kamera-Setup. Deutlich ausdrucksstarker finde ich es, wenn in verschiedenen Perspektiven und Stilrichtungen fotografiert wird.
In der gewohnten Umgebung ist es anders. Zu vielen Orten gibt es persönliche Geschichten. So finden sich auch in meiner Fotoserie Orte wieder, zu denen ich eine spezielle Verbindung habe. Beispielsweise habe ich die Fassade meines Lieblings-Clubs, der Eule, fotografiert. (leider geschlossen) Dadurch, dass man die meisten Spots schon bei sehr unterschiedlichen Bedingungen und Blickwinkeln gesehen hat, fällt es deutlich leichter ein spannendes Foto zu schießen.

Du hast für uns den Lobster Redscale 110 ISO 200 getestet. Wie sah deine Vorbereitung aus?
Im Vergleich zum Reisen hatte ich bei meiner Münster-Serie ein grobes Konzept über die Abfolge und Zusammensetzung der Motive. Ich erstellte mir im Vorfeld eine kleine Route und hatte die allermeisten Fotos bereits nach kurzer Zeit im Kasten. Das ein oder andere Foto hat sich natürlich noch spontan eingereiht. So muss es aber auch sein.
Vor knapp 10 Jahren hatte ich schon einmal mit einem Redscale Film am Meer fotografiert und war von den Ergebnissen begeistert. Deshalb waren mir die Eigenschaften vom Film noch grob bekannt.
Das erste Foto deiner Rolle Redscale 110 zeigt eine Doppelbelichtung von Straßenpfeilen. In welche fotografische Richtung wolltest du mit diesem Testfilm gehen?

Ich wollte direkt mit einem kleinen Experiment starten. Noch nie zuvor hatte ich mit einem Pocketfilm eine Doppelbelichtung ausprobiert. Die Pfeile der Straßenmarkierung sollten dabei ein Richtungsweiser und Startschuss für die nachfolgenden Fotos sein.
Von der Straße ging es weiter zu unterschiedlichen Fassaden der Stadt. Der Redscale Film untermalt dabei perfekt den Retro-Charme der Briefmarkenautomaten und dem Einstein Graffiti. Neben dem Fokus auf Architektur wollte ich außerdem alternative und durchaus gefährdete Lebensräume, wie den DIY Skatespot und das Gasometer, ablichten. (Der Skatespot wurde leider kurze Zeit später abgerissen und das Gasometer musste geräumt werden.)
Welche Motive eignen sich deiner Meinung nach für den Redscale besonders?
Der Film harmoniert exzellent mit sonnigem Wetter. Aber auch Wolken werden durch diesen Film besonders schön betont. Ein Objektivwechsel kann obendrein eine unterschiedliche Abstufung des Effektes bewirken. Bei der Motivwahl gibt es keine bestimmten Grenzen, jedoch würde ich aufgrund der relativ geringen ISO nicht unbedingt bei schlechtem Wetter oder schwierigen Lichtverhältnissen fotografieren - es sei denn, man will bewusst damit spielen.
In einer Welt, die von der Lust nach Megapixeln dominiert wird, was reizt dich am winzigen Pocketfilm?
Es ist ein wunderbares Format für unterwegs, weil es in nahezu jede Hosen- und Jackentasche passt. Trotz der sehr geringen Größe gibt es z. B. für die Pentax 110 (kleinste SLR der Welt) viele verschiedene Objektive und Möglichkeiten. Weil bei dieser Kamera jedoch kein Fisheye Objektiv dabei ist, wechsle ich dann auch zeitweise mal zur Lomography Fisheye Baby. Dafür kann ich die Filmkassette super easy von der einen in die andere Kamera legen. So entspannt ist das bei fast keinem anderen Format möglich.
In puncto Auflösung gibt es sicherlich deutlich bessere Filmformate, jedoch machen mehr Megapixel das Foto nicht zwangsläufig zu einem besseren. Besonders bei Nahaufnahmen wirken die Fotos fast schon malerisch. Eine Verwechslung mit einem Digitalfoto ist bei diesem Filmformat nahezu ausgeschlossen. Selten ist der analoge Vibe so eindeutig.
Welchen Ratschlag würdest du jemanden geben, der mit dem Fotografieren auf 110 Film beginnen will?
Werde eins mit der Kamera und nehme sie überall mit hin. Dank Lomography gibt es eine wunderbar abwechslungsreiche Auswahl an Filmen. Probiere sie aus. Für ein schönes Framing lohnt es sich auch mal, den Film inklusive Rahmen zu scannen. (Siehe meine Fotoserie über Thailand, Laos und Singapur)
Hast du Projekte, die bei dir in nächster Zeit anstehen?
Ab Mai präsentiere ich für 2 Monate unter dem Namen Colourage besonders farbenfrohe und effektstarke analoge Fotografien im Rahmen von Collagen in meinem Münsteraner Lieblingscafé Fyal. Die Effekte und Linien der einzelnen Fotos verbinden sich miteinander und gehen dabei sogar über den Bildrand hinaus. Dadurch ergeben sich ganz neue Perspektiven und Zusammenhänge.
Die Vernissage ist am 12.05.2023 ab 18 Uhr. Schaut gerne vorbei.
Vielen Dank für das schöne Interview, Marius! Mehr von seinen Arbeiten findest du auf Instagram und in seinem LomoHome.
geschrieben von ckolter am 2023-05-04 in #Ausrüstung #Orte #lomography-films-110-pocketfilm
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