Zweifellosmondbetont - wenn die Grenzen der Kunst verschwimmen

2

Julia, auch bekannt als zweifellosmondbetont , ist Psychologin und Kunsttherapeutin aus Magdeburg. Sie arbeitet in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und in ihrer Freizeit experimentiert sie oft mit dem Medium der analogen Fotografie und mischt diese auch mit anderen Kunstformen. In diesem Artikel kannst Du Julia und ihre gefühlvollen Arbeiten kennen lernen.

© zweifellosmondbetont

Hallo Julia und willkommen im LomoMagazin! Kannst Du uns erzählen, wie Du zur analogen Fotografie gekommen bist? Erinnerst Du Dich noch an Deine erste Rolle Film?

Die Frage ist wohl eher, wie ich nach kurzer Pause zurück zur analogen Fotografie gekommen bin. Meine Generation ist in ihrer Kindheit meist noch mit Filmkameras aufgewachsen. Die Filme vom Urlaub mit den Eltern oder der Klassenfahrt mussten zum Entwickeln gebracht werden. Das war normal. Erst in meiner Pubertät gab es dann den deutlichen Wechsel. Immer mehr Personen kauften sich Digitalkameras; so auch meine Eltern und auch ich habe damit rumgeknipst – wie man so schön sagt. Die Fotos habe ich dann in Foren oder auf Blogs hochgeladen, aber erst als ich für den Kunstunterricht eine Spiegelreflexkamera mitbringen sollte und ich die alte analoge Kamera mit dem Schachtsucher (EXA1c) meiner Eltern wieder in den Händen hielt, ist ein Feuer entfacht.
Zum einen lag das sicher am Schachtsucher, zum anderen daran, dass ich erst zu diesem Zeitpunkt richtig verstand, was es mit Blende, Belichtungszeit und Fokus auf sich hat und welche Gestaltungsmöglichkeiten die Fotografie in sich birgt.
Das war im Jahr 2007.
Meine Freunde und ich beendeten in diesem Jahr die Schule. Wir hatten viel Zeit und so habe ich angefangen, unser Leben zu dokumentieren, aber auch meine Freund*innen für Fotos zu inszenieren. Ich merkte, dass ich so meinen emotionalen Zustand ausdrücken konnte und das gefiel mir.

© zweifellosmondbetont

Hat sich deine Fotografie über die Jahre verändert? Wie würdest du den Look deiner aktuellen Fotos beschreiben? Auf mich wirkt er märchenhaft, abstrakt, weich... ?

Nach circa sieben oder acht Jahren hatte ich allmählich das Gefühl, ich wiederhole mich nur noch in meiner Fotografie. Zu dieser Zeit, im Jahr 2015, begann ich außerdem mein Kunsttherapie-Studium und im Zuge dessen auch das kunsttherapeutische Arbeiten in psychiatrischen Kliniken. Durch die Konfrontation mit anderen künstlerischen Methoden empfand ich Fotografieren - im Sinne von: auf den Auslöser drücken – noch stärker als zuvor als einen eher starren und langweiligen Prozess. Egal wie viele kreative und experimentelle Methoden ich ausprobierte.
Dann belichtete ich für eine Ausstellung mit Hilfe eines Freundes ein Foto direkt auf eine Wand. Dafür arbeitete ich zum ersten Mal mit einem Vergrößerer und Photochemikalien. Das Ganze fand ich so faszinierend, dass ich mir danach eine Dunkelkammerausstattung für mein Badezimmer besorgte. Ich wollte am Entstehungsprozess einer Fotografie aktiver beteiligt sein und mehr Einfluss nehmen als zuvor. Seitdem habe ich etliche Handabzüge hergestellt, viele Fehler gemacht, aber auch viel dazugelernt.
Das Aussehen meiner aktuellen Fotos wird deutlich durch die Arbeit in der Dunkelkammer beeinflusst. Ich glaube, dass meine Fotografie sich verändert und dass ich immer mehr meine eigene Handschrift finde. Meiner Meinung nach wird sie immer ironischer, weniger melancholisch und gewinnt an Klarheit. Außerdem gibt es eine Tendenz zum Lauten und Abstrakten. Sie ist nicht mehr so still, diffus und zurückgenommen wie in den ersten Jahren.

© zweifellosmondbetont

Du kombinierst Deine Fotografie oft mit Grafik/Malerei – was gab die Inspiration dazu?

Ich glaube, das war gar keine bewusste Entscheidung, sondern vielmehr meine Neugier, die angeführt wurde von der Frage: okay, so funktionieren normkonforme, „normale“ Abzüge; das Ganze könnte ich jetzt perfektionieren, aber was ist eigentlich noch alles möglich? Ich wollte experimentieren, aber fernab des bekannten experimentellen Arbeitens (Chemigramme, Fotogramme, usw. ). So habe ich circa vor einem Jahr angefangen, verschiedene Dinge zu probieren.

© zweifellosmondbetont

Als Erstes wollte ich Schwarzweiß und Farbe auf einem Abzug kombinieren.
Dafür fing ich an, mit Schablonen und Mehrfachbelichtungen zu arbeiten. Außerdem musste ich mich viel mit subtraktiver Farbmischung bzw. Lichtfilterung beschäftigen. Das heißt, wie überlagern sich Farben auf dem Fotopapier. Dieses Vorgehen hat mich letztendlich zur nächsten Frage geführt: was ist, wenn ich das Negativ weglasse und nur mit Schablonen arbeite? So ergibt eins das andere.

Sicherlich fließen auch Einflüsse aus anderen Kunstformen ein, schließlich schaue ich mir gerne Kunst an. Die letzten Jahre habe ich mich recht intensiv mit den Gedanken und Werken der KünstlerInnen am Bauhaus beschäftigt in meiner Jugend mit Graffiti und Streetart. Es würde mich auf jeden Fall freuen, wenn etwas davon Einfluss auf meine Kunst genommen hat.
Gerade finde ich es spannend, Gestaltungstechniken anderer Genres in den photochemischen Prozess zu übersetzen und werde weiterhin daran arbeiten.

© zweifellosmondbetont

Kannst Du uns durch deinen fotografischen Prozess führen? Wie suchst Du dein Equipment aus und Dein Motiv?

Ich bin keine leidenschaftliche Kamera-Käuferin, -Sammlerin oder -Testerin. Eigentlich nutze ich von Anfang an eine Kleinbildkamera mit Schachtsucher: erst die EXA 1c bzw. 1a mittlerweile die Pentax LX. Meistens mit einem 28mm-Objektiv. Dahingehend hat sich wenig geändert. Ab und an probierte und probiere ich andere Kameras, aber eigentlich ist die Wahl der Kamera schon eine sehr feste Größe. Ich mag das Kleinbildformat und die Art des Suchers einfach. Bei der Dunkelkammerausrüstung, Filmen, Fotopapier, usw. kaufe ich einfach die Produkte, die am günstigsten sind – besonders wenn ich mit einem neuen Verfahren beginne. Später im Verlauf variiere ich auch und probiere verschiedene Hersteller oder Typen.

Und die Auswahl der Motive? Am liebsten sind mir die Motive, die ich mir nicht aussuche, sondern die mich aufsuchen. Das heißt, im besten Fall ist in mir ein inneres Bild entstanden, welches mich nicht mehr loslässt. Das inszeniere ich und fotografiere es dann. Manchmal inszeniere ich Dinge aber auch ohne konkrete Idee. Ich arrangiere dann die vorgefundene Umgebung um und gehe eher spielerisch an ein Motiv heran. Es ist selten, dass ich nicht in die Szene vor der Linse eingreife. Meine Motivation ist es, etwas Neues bzw. einen neuen Blick auf Dinge zu schaffen. Manchmal sehe ich aber durchaus Situationen oder Orte, die so ästhetisch oder besonders sind, dass ich sie ganz klassisch dokumentarisch festhalte.

Wenn ich den entwickelten Film Zuhause habe, scanne ich ihn für den ersten Überblick. Bei den Fotos, die ich gerne mag, überlege ich mir, wie ich sie in der Dunkelkammer vergrößern kann. Das heißt, wie möchte ich sie bearbeiten und darstellen. Ein Abzug ist für mich meine eigene Interpretation des vorhandenen Negativs. In der Dunkelkammer erfolgt also nochmal eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Foto.

© zweifellosmondbetont

Was möchtest Du mit Deinen Bildern ausdrücken?

Wenn ich das wüsste.

Zu Beginn war es mir wichtig, Menschen oder Lebewesen sehr fragil und zerbrechlich darzustellen. Die Stimmung war eher melancholisch. Mit diesen Facetten des Menschseins beschäftige ich mich zwar immer noch – allein beruflich, aber aus irgendeinem Grund konnte ich mich jedes Jahr weniger mit dieser Art von Fotos identifizieren. Die Geschichte vom sensiblen, nachdenklichen Menschen hatte sich irgendwie auserzählt. Was auf jeden Fall auch zu einer kleinen fotografischen Sinnkrise führte. Das Erlernen von Prozessen in der Dunkelkammer lenkte mich zunächst davon ab. Letztendlich stellte sich aber doch die Frage: was will ich eigentlich erzählen?

© zweifellosmondbetont

Ich stellte fest: je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr hemmt es meinen künstlerischen Prozess. Für mich funktioniert er am besten, wenn ich einfach anfange, zu spielen und zu probieren sowie vermeintliche Fehler auf dem Abzug anzunehmen, zu verstehen und mich eventuell sogar in diese Richtung treiben zu lassen. So führt eins automatisch zum anderen. Konkretere Bildideen oder -ziele entwickeln sich dann oftmals ganz von allein.
Mittlerweile sehe ich es so, dass ich vor dem Fotografieren gar nicht genau festlegen kann und will, was meine Fotos ausdrücken sollen, sondern spannender ist doch die Tatsache, dass meine Fotos mir sagen, was aus meinem Inneren da eigentlich gerade seinen Ausdruck finden möchte. Ich glaube, ich habe ein recht facettenreiches und unruhiges Innenleben. Zusätzlich werde ich in meiner beruflichen Tätigkeit mit sehr vielen und verschiedenen Themen, Gedanken und Gefühlen konfrontiert. Das heißt: in mir ist immer super viel los. Der künstlerische Prozess hilft mir, eine innere Ordnung und Ruhe herzustellen und ist gleichzeitig ein wichtiger Bestandteil meiner Kommunikation und meiner Selbsterkenntnis.

Ich schließe mich dahingehend dem Denken des großartigen Psychoanalytikers Donald W. Winnicott an, der das Buch „Vom Spiel zur Kreativität“ schrieb: “It is in playing and only in playing that the individual child or adult is able to be creative and to use the whole personality, and it is only in being creative that the individual discovers the self.”

Darüber hinaus wäre es natürlich schön, wenn meine Fotos beim Betrachtenden etwas auslösen, was über ein reines Schön-finden – im Sinne von: dekorativ / ansehnlich - hinausgeht. Ich merke oft, dass ich es schade finde, wenn gerade die Fotos gemocht werden, die zwar eine schöne Stimmung zeigen, aber letztendlich nur stereotype Sehgewohnheiten ansprechen und wenig Inhalt oder Neues anbieten. Wir sind alle von so vielen Fotos täglich umgeben und fast jede/r hat einen Bezug zur Fotografie und eine Idee davon, was Fotografie ist. Mir macht es durchaus Spaß, das in Frage zu stellen, die Grenzen zu erkunden und zu zeigen, was Fotografie noch alles kann. Hinterfragen finde ich einen super wichtigen Prozess und es wäre toll, wenn meine Fotografie dazu einladen würde. Ohne konkret eine Frage zu stellen und ohne Antworten aufzudrängen.

© zweifellosmondbetont

Hast Du inspirierende Worte für unsere kreative Community?

Ich kann mich nur dem anschließen, was hier viele andere schon geantwortet haben:
neugierig bleiben. Versucht die Welt, eure Umgebung, euch und eure Fotografie immer wieder neu zu entdecken. Alte Seh- und Denkgewohnheiten hinterfragen.
Akzeptieren, dass Zeiten von Lust- und Kreativlosigkeit dazugehören und sicher auch notwendig sind.
Lasst euch außerdem möglichst nicht von Meinungen, weit verbreiteten Annahmen oder so genannten Goldstandards beeinflussen. Ich habe mich selbst Jahre lang von den Aussagen zu heimischen Farbabzügen in der provisorischen Dunkelkammer abschrecken lassen. Es gilt wie so oft im Leben: Geduld haben, Zeit nehmen, in sich hinein spüren und den eigenen Impulsen und Gedanken folgen.

Mir und meine Fotografie hat es auch immer sehr gut getan, sich eine gewisse Zeit mit etwas ganz anderem zu beschäftigen. Damit meine ich andere Tätigkeiten, ein anderes Material oder neue, unbekannte Themen. Ich finde, sobald man etwas Neues gelernt hat oder sich intensiv mit etwas beschäftigt hat, was vermeintlich erst einmal gar nichts mit Fotografie zu tun hat, hat dies doch einen inspirierenden Einfluss auf diese.

© zweifellosmondbetont

„Der Feind der Fotografie ist die Konvention, die festen Regeln >Wie man es macht<.
Die Rettung der Fotografie erfolgt durch das Experiment.“
-László Moholy-Nagy


Vielen Dank an Julia, dass sie ihre Arbeiten und Gedanken dazu mit uns geteilt hat! Schau auf ihrem Instagram , Flickr und in ihrem LomoHome vorbei und lass ein bisschen Liebe da!

geschrieben von alinaxeniatroniarsky am 2021-05-19 in #Menschen

2 Kommentare

  1. an4
    an4 ·

    sehr schön geschrieben bzw. geantwortet,
    ich hoffe dieses Interview findet auch den Weg auf lomography.com

  2. zweifellosmondbetont
    zweifellosmondbetont ·

    @an4 danke dir! (:

Mehr interessante Artikel