In den Straßen Hannovers

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Hi Leonard, es freut mich, dich heute hier begrüßen zu dürfen. Bitte stelle dich unseren Lesern kurz vor.

Hey! Ich bin Leonard Müller, 22 und wohne momentan in Hannover. Ich bin Videojournalist bei einem Dienstleister für Film und Fernsehen und selbstständig als Fotograf. Im Moment arbeite ich an verschiedenen Projekten, das Größte ist aber derzeit ein Bildband, der sich mit, naja, Menschen befasst. Und nicht zuletzt auch mit meiner großen Neugierde, würde ich sagen.

Für dein Projekt gibst du verschiedensten Personen 5 Euro und dokumentierst, wofür sie dieses Geld ausgeben. Wie kamst du auf diese Idee? Und in welchen Städten warst du dafür unterwegs?

Genau. Insgesamt werden es um die 20-30 Leute sein, die später abgedruckt werden. Die Idee kam mir nicht plötzlich einfach so – das war mehr so ein Prozess. Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, wie ich in der Stadt an Wohnungslosen vorbei gegangen bin und gedacht habe: ‚Wenn ich ihnen jetzt 5€ gebe, dann kaufen sie sich doch sowieso nur Schnaps davon‘. Diese Situation habe ich dann immer öfter bewusst wahrgenommen und auch mehr und mehr aktiv darüber nachgedacht: ‚Kann mir nicht eigentlich egal sein, was sie sich davon kaufen – wenn eine Flasche Vodka in dem Moment das ist, was sie am dringendsten brauchen?‘ Vor allem aber auch: ‚Was kaufen sie sich tatsächlich, wenn ich auf sie zu gehe und ihnen 5€ gebe?‘ Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass mir dabei absolut egal ist, was sie sich kaufen. Ich urteile nicht darüber, sondern finde es interessant, was sie sich kaufen und möchte dem auf den Grund gehen.
Hauptsächlich bin ich dafür in Hannover unterwegs – vereinzelt aber auch in Hamburg und Berlin.

Du fotografierst das gesamte Projekt analog. Warum?

In den letzten Jahren bin ich immer mehr von digitaler zu analoger Fotografie übergegangen. Immer wenn es der Job zulässt oder ich freie Projekte habe, dann fülle ich Filme und keine Speicherkarten. Ich persönlich habe dabei einfach das Gefühl näher an den Fotos zu sein und den gesamten Prozess intensiver zu erleben. Außerdem sitze ich sehr sehr ungern stundenlang an meinem Computer und versuche irgendeinen Look zu kreieren – ein Film nimmt mir in gewisser Weise diesen Schritt ab und lässt die Fotos aber gleichzeitig natürlicher, unperfekter und meiner Meinung nach schöner werden. Vermutlich fotografiere ich also analog aus Faulheit, der Liebe zum analogen Look und dem Gefühl eine Rolle wieder zu bekommen, ohne sich erinnern zu können, was man fotografiert hat.

Hast du Unterstützung oder finanzierst du das Projekt selbst? Und wie liefen die Vorbereitungen von der ersten Idee bis zur Umsetzung ab?

Die einzige Unterstützung, die ich bekomme, sind S/W Instant Filme und eine Lomo Instant Wide, mit der jede Person fotografiert wird. Beides von einer Firma namens Lomography – die ist vielleicht einigen der Lesern bekannt... Ansonsten fotografiere ich noch mit einer analogen Canon 1000F – alles auf Schwarzweißfilm.
Die Anfangsphase hat sich ziemlich gezogen – da ist bestimmt ein Jahr vergangen, in dem ich die Idee nicht wirklich weiter konkretisiert habe. Irgendwann hatte ich dann aber das Gefühl, dass ich bereit bin und habe dann auch ziemlich schnell entschieden, dass das Ganze in Form eines Buches das Licht der Welt erblicken soll.
Das beobachte ich öfter bei mir – wenn mir eine Idee zu einem Projekt kommt schreibe ich sie zuerst als Stichpunkt in ein Notizbuch, wo sie sich dann automatisch in die Cloud meines Kopfes hochlädt und dort so lange gespeichert bleibt, bis ich mich dazu bereit fühle. Irgendwie wie bei Obst – sobald die Idee reif ist fällt sie vom Baum und wird aufgegriffen. Wow, was für ein Vergleich...
Danach passierte garnicht so viel an Vorbereitungen, ich habe Testfotos mit verschiedenen Filmen gemacht, mich für einen entschieden und angefangen Protagonisten zu fotografieren. Die Entscheidung für eine Druckerei, Papier, Druckart, Format und so weiter, das kam dann nach und nach – während ich schon mitten drin war. Ich will mich ehrlich gesagt auch nicht übermäßig auf solche Projekte vorbereiten, alles bis auf den letzten Cent durchrechnen und jeden Produktionsschritt bis ins letzte Detail planen – das nimmt mir den Spaß und die spontane Kreativität, die meiner Meinung nach sehr sehr wichtig ist für solche Projekte.

Du interviewst die Personen auch. Wie gehst du mit den Geschichten um, die du hörst? Ich kann mir vorstellen, dass es bestimmt viele sehr emotionale Begebenheiten gibt.

Definitiv, jede Person, mit der ich mich treffe hat eine ganz besondere Lebensgeschichte – nicht alle davon sind traurig anzuhören, aber schon einige... Ich muss allerdings sagen, dass mich die traurigen Geschichten nicht wirklich runterziehen – ich gehe da eher mit einer großen Faszination und Neugierde ran, die ich dann in die Porträts kanalisiere.

Was kannst du uns über den Herren auf diesen Fotos erzählen?

Das ist Benny, einer der nettesten, aufgeschlossensten und auch liebenswertesten Begegnungen bis jetzt.
Benny wohnt in Hannover und hatte nicht gerade den einfachsten Lebensweg. Er sticht aber nicht nur mit seiner sehr offenen Persönlichkeit heraus, sondern auch durch sein Erscheinungsbild. Benny will sich wohlfühlen in seiner Haut und da ist es ihm auch egal, was andere darüber denken, so erzählte er mir. Und so kam es, dass Benny mit Piercings und geschminkten Augen vor mir saß und wir uns über das Leben austauschten. Von den 5€ hat sich Benny eine Flasche Vodka gekauft. Diese Flasche hilft ihm dabei „zu vergessen. Zu vergessen wie scheiße mein Leben ist und wieviel scheiße ich gebaut hab“, erzählte er mir. Über was wir uns noch alles unterhalten haben und welche anderen beeindruckenden Persönlichkeiten ich getroffen habe, das würde hier diesen Rahmen sprengen – aber nicht den meines Buches... Cliffhanger? Check.

Was sagt dein Umfeld zu diesem Projekt?

Ich musste gerade ersteinmal etwas länger darüber nachdenken, ob es auch negative Stimmen in meinem Umfeld gibt – da fällt mir aber keine ein. Tatsächlich bekomme ich sehr viel Zustimmung und positive Rückmeldungen zu dem Projekt, worüber ich mich auch jedes Mal wieder sehr freuen kann.

Du wirst ja einen Bildband dazu veröffentlichen und über eine Crowdfunding Seite finanzieren. Planst du auch Ausstellungen und wenn ja, wann?

Eine Ausstellung fänd ich grandios. Ich bin gerade noch im Gespräch mit verschiedenen Galerien – ich hoffe sehr, dass wir dort etwas auf die Beine stellen.

Was möchtest du mit diesem Bildband erreichen? Und wie geht es nach der Veröffentlichung weiter?

Ich hatte von Vornherein kein wirkliches Ziel oder so etwas wie einen Hintergedanken bei dem Projekt. Ich fand das ganze Thema einfach extrem interessant, liebe es analog zu
fotografieren und habe schon einige Zeit die Vision mein einiges Buch in den Händen zu fühlen, das Papier zu riechen und den wundervollen Offset-Druck zu betrachten. In Zeiten von Instagram und Co. habe ich das Gefühl, dass das Gedruckte für mich immer mehr an Reiz gewinnt. Wie geht es danach weiter? Wahrscheinlich genauso wie jetzt auch. Ich verrate aber nicht zu viel, wenn ich sage, dass noch genug Obst am Baum hängt, das vermutlich bald reif genug ist ...


Wenn du mehr von Leonards Arbeit sehen willst, besuche seine Webseite oder schau auf Instagram.

geschrieben von apots am 2019-08-20 in

Ein Kommentar

  1. fotofreundin
    fotofreundin ·

    Ein sehr interessantes Projekt mit Tiefgang! Ich selbst wohne in Berlin und könnte sicher auch Bücher mit Bildern füllen. Leider schaut man viel zu oft weg. Gerade wenn ich morgens zur Arbeit fahre und auf dem Weg dorthin mehrfach nach Geld gefragt werde, kann es passieren, dass es mich seelisch etwas runter zieht. Manchmal, wenn ich Leuten öfter begegne, greife ich dann doch ins Portemonnaie und freue mich über einen dankbaren Blick. Ich bin gespannt auf Leonards Buch! :)

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