Die Erinnerung aufrecht erhalten — ein Interview mit Joana Jesus

Fotos können genauso ausdrucksstark wie Bilder sein. Wir haben uns mit Joana Jesus genau darüber unterhalten. Ihre Fotos sind geprägt von einer inneren Sicherheit, sie lässt dabei gleichzeitig einen großen Interpretationsspielraum für den Betrachter frei. Ihre Fotografien sind gleichermaßen Auszüge einer fiktiven und der tatsächlichen Realität. Willkommen in Joanas Welt des Films.

© Joana Jesus

Hallo Joana und willkommen beim Magazin! Womit befasst du dich und wann begann für dich alles mit der Fotografie?

Ich habe vor Kurzem meinen Abschluss in Kostümdesign in Porto gemacht. Ich denke, dass die Fotografie schon immer Teil meines Lebens war und dass mein Interesse schon von Anfang an stark war. Ein Freund von mir, den ich im Sommer 2016 durch Zufall kennenlernte, brachte mich auf die Idee, eine Filmkamera zu kaufen. Seitdem fotografiere ich mehr und mehr, mache meine eigenen Projekte und finde meinen eigenen Stil.

Wie definierst du Fotografie? Was schätzt du besonders daran?

Für mich ist es etwas magisches, ewiges, vor allem, weil es meine Erinnerungen konserviert. Es ist sehr einfach, Erinnerungen somit unsterblich zu machen!

Warum hast dich in einer so schnelllebigen Welt für Film entschieden?

Jedes Foto kriegt somit die Aufmerksamkeit, die es verdient und man denkt stärker darüber nach, ob ein Motiv es wert ist, ein Foto daraus zu machen. Ich liebe das Gefühl, wenn ich auf die Entwicklung meiner Filme warten muss. Es ist jedes Mal auf's neue überraschend zu sehen, was dabei rauskommt – oft gut aber auch schlecht, meist aber eher gut). Für mich lassen sich Digitalfotos nicht mit den analogen vergleichen. Ich kann nicht festmachen, woran genau es liegt.

Außerdem schätze ich die kleinen Makel, die sich bei der Arbeit mit Film einschleichen. Wie zum Beispiel, wenn ich zu lang brauche, um die Einstellungen anzupassen und mir mein Motiv entwischt. Dann aber sehe ich etwas, was noch besser ist. Oder wenn ich einen Film mehrmals nutze und daraus dann Doppelbelichtungen entstehen. Das mag ich sehr!

Wie wichtig ist für dich deine Ausrüstung, wenn du qualitativ gute Arbeit erzielen möchtest?

Es ist definitiv hilfreich, aber der Inhalt, das Motiv bleibt weiterhin das Wichtigste. Für mich ist selbst die beste Ausrüstung nutzlos, wenn man nicht alles aus ihr rauskitzeln kann. Wenn dir eine Idee für ein Foto kommt, mach es einfach mit der Kamera, die du gerade zur Hand hast. Meine Ausrüstung ist sicherlich nicht die beste, ich weiß aber, wie ich sie am besten nutzen kann und das ist für mich äußerst wichtig.

Wir lieben die Art, wie du deine Fotos komponierst, besonders deine Schwarz-Weiß-Fotos mit ihren hohen Kontrasten. Wie gehst du dabei vor?

Denkeschön! Ich denke mal, dass es sich um etwas sehr Intuitives handelt bei mir. Es ist so, als ob man immer die Zeit ankämpfen würde, weil sich entweder das Licht verändert oder sich dein Motiv bewegt - und das innerhalb von wenigen Sekunden. Es ist wichtig, gleichzeitig die Einstellungen der Kamera anzupassen und die Auswahl des Ausschnitts zu treffen.

Was sind die Merkmale, nach denen du suchst?

Gutes Licht, Unerwartetes in unerwarteten Plätzen und abgelenkte Menschen.

Was erwartest du als Reaktionen von deinem Publikum, wenn sie sich deine Fotografien anschauen? Was willst du übermitteln?

Ich mag es, wenn man einen Bezug zu meinen Fotos findet. Ich will, dass ein Foto in mir eine Erinnerung hervorruft. Jedes meiner Fotos löst in mir unterschiedliche Emotionen aus wegen der unterschiedlichen Erinnerungen, die ich mit ihnen verbinde. Ich finde es aber auch lustig, wenn jemand anderes etwas komplett anderes darin sieht und es mit den eigenen Erfahrungen verknüpft.

Manchmal achten die Leute nicht mal auf das für mich wichtigste Motiv im Bild und fixieren etwas komplett anderes an. Das ist Fotografie! Ich möchte meinem Publikum etwas Bestimmtes mitteilen, aber es kommt schließlich etwas anderes dabei heraus. Wichtig für mich ist bloß, dass die Menschen etwas Anregendes spüren.

© Joana Jesus

Was inspiriert dich, Fotos zu machen?

So vieles! Manchmal ein anderer Nachhauseweg, manchmal ein Zitat, das jemand mitten im Gespräch erwähnt, manchmal ein Lied, eine bestimmte Lichtstimmung, ein Bild etc. Ich gehe unterschiedlich vor. Ich beobachte gerne und wenn ich etwas Ansprechendes sehe, mache ich einfach das Foto.

Ich habe bisher zwei große Projekte gehabt: dark room 00:00 und desfolhado. Beim ersten habe ich mich von ein paar Zeichnungen von Frederic Forest inspirieren lassen – von der Art, wie er die surrealistischen Bewegungen der Körper in Linien einfängt. Weil ich auf einer Theaterschule war, hatte ich Zugriff auf Räume mit schwarzen Vorhängen. Wir haben uns dort ausgetobt wie wir wollten und mit Bewegungen experimentiert.

Das zweite, desfolhado, entsprang aus einer Wette mit einer Freundin – ich forderte sie heraus, sich auszuziehen und neben einem Baum in der Nähe eines Museums zu posieren. Wir sind am Tag drauf tatsächlich zurückgekehrt und haben den nackten Körper im öffentlichen Raum erforscht. Nach ungefähr einem Jahr haben wir das gleiche in Porto wiederholt. Wir haben es geschafft, den Körper in Orte der täglichen Routine einzubringen.

Womit befasst du dich am liebsten in deiner Fotografie und warum?

Ich denke, ich suche noch meinen ganz eigenen Stil. Es kommt immer auf meine Stimmung an. Wenn ich Menschen einbeziehe, spüre ich förmlich deren Energie und lasse mich davon mitreißen. Ich fotografiere sie nicht nur für Porträts, aber wenn das der Fall ist, versuche ihr Innerstes einzufangen. Ich liebe aber auch verlassene Orte! Alles, womit ich eine Geschichte erzählen kann und in mir Erinnerungen hervorruft, machen für mich ein gutes Foto aus.

Wenn du nur eine Kamera und nur einen Film zur Verfügung hättest, welche wären das?

Seitdem ich mit der Filmfotografie angefangen hab, benutze ich das Canon AE System, also würde ich das verwenden. Mir haben meine letzten Farbfotos mit dem Kodak Colorplus 200 oder Kodak Portra 400 gefallen. Für Schwarz-Weiß-Aufnahmen würde ich den Kodak TX400 nehmen.

© Joana Jesus

Wie sieht ein perfekter Tag für Joana Jesus aus?

Irgendwo in der Natur an einem sonnigen Tag mit den Leuten, die ich Liebe, guter Musik, gutem Essen, angenehmer Atmosphäre und nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Natürlich mit meiner Kamera im Schlepptau!

Was steht dir nun noch bevor? Irgendwelche Projekte in naher Zukunft? Teile sie doch mal mit uns.

Ich ziehe nach Italien, um dort an einem europäischen Praktikantenprogramm teilzunehmen. Ich werde mich mit Sozialen Medien und Design beschäftigen, was mir Spaß macht und mich als Fotografin bestimmt vorantreibt. Ich kann es kaum abwarten!


Wir bedanken uns bei Joana dafür, dass wir ihre Fotos im Magazin verwenden dürfen. Alle Fotos in diesem Artikel gehören der Künstlerin. Wenn du Interesse hast an ihrer Arbeit, folge ihr auf Instagram.

geschrieben von cheeo am 2019-02-07 in #Kultur #Menschen

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