Zwischen Kindheit und Männlichkeit — Ein Interview mit Rosie Matheson
2 Share TweetFür die Porträtfotografin Rosie Matheson erzählt jedes Gesicht eine Geschichte. Im Jahr 2015 hat sie ihre Aufmerksamkeit jungen Männern zugewandt, deren Emotionen sie einfing und so zeigte, wie sie sich der Welt präsentieren. Ihr Projekt Boys ist eine wunderbare Auseinandersetzung mit Kindheit und Männlichkeit, wobei jedes Porträt einen einzigartigen Einblick in das Erleben der Männlichkeit bietet. Wir haben uns mit Rosie in Verbindung gesetzt, um mehr darüber zu erfahren, wie sie zur Fotografie gekommen ist und wie das _Boys_-Projekt zustande kam.
Hallo, Rosie! Willkommen im Lomography-Magazin. Bitte erzähle uns etwas über dich. Was hat dich zur Fotografie gebracht?
Ich bin schon seit meinen jungen Jahren von der Fotografie besessen. Rückblickend erkenne ich, was für einen großen Einfluss das auf mein Leben hatte. Einer der besten Freunde meiner Eltern ist der preisgekrönte Fotograf Zed Nelson und er war immer da, um Partys, Hochzeiten und Geburtstage zu fotografieren — so war ich schon früh mit seinen Arbeiten und Ausstellungen vertraut. Mein Vater ist ein großer Filmliebhaber und mein Opa arbeitete früher für Kodak, die Fotografie war also immer schon ein großer Teil meines Lebens. Als Teenager war ich total begeistert von Lomography-Kameras. Ich hatte eine Fisheye, eine Diana und den Spinner 360°, mit denen ich ständig experimentierte — buchstäblich jeden Tag. Ich war in der Oberstufe am College, verbrachte viel Zeit in der Dunkelkammer und mir wurde bewusst, dass mir die Fotografie so viel Spaß macht, dass ich sie zu meinem Beruf machen wollte.
Wusstest du schon früh, dass du dich auf die Porträtfotografie konzentrieren möchtest, oder wurde dir das erst klar, nachdem du mehr Zeit hinter der Kamera verbracht hattest?
Es war definitiv etwas, das immer attraktiver wurde, je häufiger ich mich damit beschäftigte. Im College interessierte ich mich mehr für Dokumentarfotografie. Ich wollte eine seriöse Dokumentarfotografin werden. Für meine Collage-Projekte besuchte ich meinen Nachbarn, der Sanitäter war, bei der Arbeit und dokumentierte den Alltag eines Mannes, der in einer örtlichen Autowerkstatt arbeitete. Ich glaube, ich war schon immer fasziniert von den Geschichten der Menschen und versuchte, diese zu erzählen. Nachdem ich mit der Schule fertig war, fing ich an, mich für die Porträtfotografie zu interessieren, da sie eine großartige Möglichkeit bot, aus meinem Schneckenhaus zu kommen und unterschiedlichste Menschen zu treffen. Es war fast so, als wäre ich immer etwas selbstsicherer, wenn ich eine Kamera dabei hatte.
Deine aktuelle Fotoserie Boys ist eine atemberaubende Erforschung von Kindheit und Männlichkeit. Kannst du uns bitte etwas über das Projekt erzählen? Was hat dich dazu inspiriert, dich auf Männer und ihre Erfahrungen zu konzentrieren?
Ohne es zu merken, habe ich seit 2012 tatsächlich überwiegend junge Männer fotografiert. Eigentlich hat das Projekt aber erst im Dezember 2015 begonnen, als ich zwei Jungen, Elliott und Phoenix, fotografierte. Ich hatte gerade angefangen, meinen persönlichen Fotostil zu finden und herauszufinden, was ich mit meiner Arbeit erreichen wollte. Beim Shooting mit den jungen Männern fühlte ich mich sehr wohl — es gab keinen Druck, sie attraktiv aussehen zu lassen (was definitiv bei Shootings mit Mädchen der Fall ist). Männer sind mühelos, cool und benötigen selten Styling für die Haare oder Make-up. Ich mag diese Leichtigkeit — man kann zwei Rollen Film in dreißig Minuten verschießen, ganz ohne Stress. Ich fing an immer mehr Jungs zu fotografieren und hatte plötzlich ein ziemlich großes Projekt aufgebaut. Es fing an, seine eigene Geschichte zu erzählen und ich griff dann die Idee der Männlichkeit auf, als mir gesagt wurde, dass die Leute noch nie Männer gesehen hätten, die so sanft und einfühlsam fotografiert worden sind. So empfand ich die Bilder selbst auch und plötzlich wurde daraus ein Gesprächsthema. Ich habe mich immer für das Leben und die Geschichten von Menschen interessiert und die Geschichte jedes Einzelnen mit seinen Erfahrungen. Heutzutage ein junger Mann zu sein schien mir äußerst interessant und gerade heute mit der sich verändernden Vorstellung von Männlichkeit besonders relevant.
Wie war der Casting-Prozess? Kanntest du deine Motive schon vorher oder sind es Leute, die du durch das Fotografieren für das Projekt kennengelernt hast?
Die meisten von ihnen kannte ich vorher nicht, aber ich habe sie ziemlich gut kennengelernt. Ich mag es, diese Beziehungen zu pflegen und sie später wieder zu fotografieren, wenn wir alle älter geworden sind, sich unser Leben verändert haben und wir anders aussehen. Ich finde meine Motive über Instagram, gemeinsame Freunde oder auf der Straße.
Diese Porträts sind wunderbar intim. Wie schafft man es, am Set eine solche Verbindung aufzubauen?
Es fühlt sich für mich fast so an, als würde ich mich selbst verletzlicher machen. Ich nehme den Druck auf mich, um sie unverfälscht einfangen zu können und so großartige Porträts zu machen. Ich möchte einfach, dass es meine Modelle so angenehm wie möglich haben. Ich fotografiere am liebsten vis-à-vis, ohne dass jemand anderes dabei ist und wir quatschen einfach während des Shootings miteinander. Es geht einfach nur um Vertrauen.
Wir lieben, dass die Porträts so persönlich sind — von Tieren bis zu Boxhandschuhen. Sie sind voller Details, die uns einen wirklichen Eindruck von der Identität der Modelle geben. Wie hast du entschieden, wo du fotografieren willst und was alles mit ins Bild soll?
Normalerweise fotografiere ich gerne an einem Ort, mit dem mein Motiv persönlich etwas verbindet. Ich interessiere mich für das, was sie tun, die Wahl der Kleidung, des Schmucks und des Haarschnitts. Ich bin einfach von allem fasziniert. Ich finde, man muss einfach besessen sein, um diese Dinge einzufangen. Alles, was jemand tut, was jemand besitzt und entschließt zu tragen, sagt etwas über die Person aus, also ist mir jedes Detail wichtig.
Normalerweise fotografierst du auf Film, nicht digital. Wieso und was trägt das zu einem Projekt wie Boys bei?
Ich liebe die Intimität von Film. Es gibt da eine Beziehung zwischen dem Fotografen und dem Modell. Ich mag es nicht, dass bei digitalen Aufnahme so viele unterschiedliche Meinungen miteinbezogen werden und man sich so von dem, was man wirklich sieht und fühlt, entfernt. Beim Fotografieren auf Film geht es darum, einen Moment festzuhalten, anstatt alles Mögliche einzufangen.
Hast du ein Lieblingsfoto aus der Serie? Kannst du uns bitte ein wenig darüber erzählen, welche Geschichte dahinter steckt und warum es dir so gut gefällt?
Natürlich ist Elliott mein Favorit. Das ist eine offensichtliche Antwort, aber dieses Foto von ihm hat unsere beiden Karrieren deutlich beeinflusst und es wird mir nie langweilig, es mir anzusehen. Es wurde 2015 in einem Skatepark in Camden geschossen und war das erste Mal, dass ich Elliott getroffen habe. Wir sprechen nie wirklich viel miteinander, aber da ist dieses Gefühl / diese Stimmung, die immer da ist — es ist immer sehr beruhigend und wir wissen, wie wir gut zusammenarbeiten. Dieses Foto von Elliott war die vorletzte Aufnahme auf meiner Filmrolle und ich ließ ihn seine Augen schließen. Ich bin mir nicht sicher warum, aber es fühlte sich einfach richtig an. Sie alle bedeuten mir so viel und ich liebe sie alle. Jedes hat seine eigene Geschichte und ist für immer in meinen Erinnerungen.
Der talentierte Kaj Jefferies — den wir schon bald in unserem Magazin interviewen — hat vor kurzem einen Dokumentarfilm über deine Boys-Serie gedreht, komplett auf Super-8-Film. Wie war es für dich, dein Projekt so zum Leben erweckt zu sehen?
Ich und Kaj haben letzten Monat für "Boys" Regie geführt. Wir haben gerade den Schnitt beendet und es ist wirklich schön und berührend geworden. Es ist genau das, was ich wollte und ich bin gespannt darauf, noch mehr zu filmen. Es macht Spaß, mit jemandem zusammenzuarbeiten und sich einmal von der Kamera zu lösen und sich auf die Regie zu konzentrieren und so zu steuern, dass alles genau so wird, wie ich mir diesen Film seit Monaten vorstelle. Es ist eine Moving-Shot-Dokumentation, die die beteiligten Jungs wirklich würdigt. Sie machen den Dokumentarfilm, wir waren nur da, um alles aufzunehmen.
Was steht für Rosie Matheson als Nächstes an? Arbeitest du gerade an neuen Projekten?
Momentan arbeite ich an einigen anderen Aspekten des Boys-Projekt — es wird ein wenig erweitert, um junge Väter mit einzubeziehen usw. Es wird später in diesem Jahr ein zweites Boys-Zine geben und einige weitere Ausstellungen und Vorführungen der Kurz-Doku in LA und Paris in den nächsten zwei Monaten. Boys ist definitiv etwas, mit dem ich weitermachen werde und ich hoffe, dass es zu einer weltweiten Fotoserie und Dokumentation wird.
Kriegst du nicht genug von Rosies Arbeiten? Besuche ihre Website und folge ihr auf Instagram, um noch mehr von der Boys-Serie und ihren anderen Portraits zu sehen.
geschrieben von Martha Reed am 2018-08-27 in #Menschen
übersetzt von dopa
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