Curated By Girls: New Masculinity

Unsere Freunde von Curated By Girls laden wieder einmal ein, euer Blickfeld zu weiten. Unter dem Motto New Masculinity stellen sie am 11. November vier junge FotokünstlerInnen aus, die mit ihren Fotografien den Begriff Maskulinität neu definieren, oder ihm einfach Raum für mehr Bedeutungsmöglichkeiten geben. Denn während Frauen seit Jahrzehnten für mehr Stärke kämpfen, vergisst man manchmal, dass auch Männer unter der stereotypischen "Männlichkeit" leiden. Im Blender Studio in Berlin könnt ihr euch davon überzeugen, dass die weichen Seiten von Männern ziemlich stark sind!

Wir haben vorab mit den vier Künstlern über das Thema und ihre Arbeiten gesprochen.

Credit: Joseph Barrett

Annika Weertz, Gießen, Deutschland

Wie definierst du für dich Maskulinität bzw. wie willst du gerne, dass sie definiert wird?

Meiner Meinung nach, wirken Begriffe wie „Maskulinität“ und „Femininität“ im historischen Rückblick fast wie in Stein gemeißelt. Wenn sich der Großteil der Menschen einen maskulinen Mann vorstellt, hat sie eine Person mit innerer und äußerer Stärke vor Augen, eine Stärke, die immer von einer Aura des Aggressiven umweht wird und von Attributen wie einem Mangel an Empathie oder emotionaler Verschlossenheit begleitet wird. Ich möchte nicht sagen, dass diese Begriffe vollkommen aufgeweicht werden, aber doch zumindest die Grenzen für eine Erweiterung verwischt werden. Schließlich passiert das im Sprachwandel permanent auf natürliche Weise. Es wäre schön, wenn jemand nicht gleich als unmännlich gilt wenn er einige stereotyp weiblich verortete Attribute aufweist.

Credits: Annika Weertz

In dem Kurztext über dich steht, dass du die Fotografie nutzt um der Routine der Außenwelt zu entkommen. Wovor genau fliehst du in der Außenwelt? Was ermöglicht dir die Fotografie, das dir die Realität nicht geben kann?

Die Fotografie ermöglicht es mir meine eigene Welt zu schaffen, in der ich mir wichtige Themen wie Ruhe, Nähe und Liebe ästhetisieren kann, um eine visuelle Erfahrung zu schaffen durch die man sich aus der durch-funktionalisierten Realität flüchten kann, in der diese Dinge nicht an erster Stelle stehen. Ich denke, dass ich vor allem vor persönlichen und mondänen Alltagspflichten und ironischer Weise auch vor moderner Technologie fliehe. Auch wenn ich die eine im Freundeskreis bin, die beinahe ständig übers Handy zu erreichen ist und fast mit ihrem Laptop verwachsen ist, verbanne ich alle Geräte aus meinen Fotografien. Zum einen auch, weil ich eine Welt erschaffen möchte, die nicht in eine bestimmte Zeit einzuordnen ist. So möchte ich mir eine Art Allgemeingültigkeit bewahren. Hinzu kommt natürlich noch meine Nostalgie für die 60er und 70er Jahre.

Was passiert mit der den Adjektiven “maskulin” und “feminin”, wenn wir ihre Bedeutung, wie wir es gerade versuchen, ändern und ihnen ihre Gender-Bezüge aberkennen? Werden diese beiden Begriffe denn dadurch nicht nutzlos/bedeutungslos?

Natürlich ist es schwierig, die Bedeutungen und sprachlichen Kontexte vollkommen zu verändern. Weder kann ein anderer gesellschaftlich Gehalt erzwungen werden, noch kann jeder mit den Worten verfahren wie er/sie es möchte, da eine Verständigung untereinander nur funktioniert wenn die Wörter eine Allgemeingültigkeit besitzen. Es soll für jeden möglich sein, wenn sie es wollen, sich als feminin oder maskulin zu bezeichnen und dabei ein bestimmtes Setting an Eigenschaften zu meinen. Doch ich möchte mit meiner Arbeit diese Definitionen öffnen, ihren abwertenden Charakter für die Ausgeschlossenen auflösen. Ich denke nicht, dass diese Zuschreibungen wie ein Kriterienkatalog anzusehen sind, wo man aussortiert wird wenn ein Punkt nicht erfüllt wird. Auch ein Mann, der keine gewaltige Physis hat, kann sich zuschreiben maskulin zu sein.

Credits: Annika Weertz

Wie würdest du den Unterschied zwischen dem sozialen Druck von Frauen und Männern beschreiben?

Ich habe den Eindruck, die Frau wird optisch noch stärker beurteilt als der Mann, was aber gleichzeitig nicht heißt, dass Männer diesen oberflächlichen Druck nicht erfahren. Die mentale Stärke steht bei Männern jedoch im Vordergrund, sowie die Sexualität. Viel seltener sieht man Männer weinen, oder Schwächen zugeben. Sie werden so oft als die starke Schulter zum Anlehnen gesehen, sodass man vergisst, dass Männer viel öfter Suizid begehen oder anfälliger sind für Depressionen. Ich denke, der Druck immer innerliche Stärke zu beweisen ist ziemlich belastend. Viele Männer tragen sämtliche Probleme ihres Lebens nur mit sich selbst aus weil sie in der Hinsicht sozialisiert werden stark und unabhängig sein.

Was sollen deine Fotos beim Betrachter auslösen?

Ich möchte grundsätzlich niemanden mit meinen Fotografien bekehren, sondern eher mein Inneres nach außen stülpen, ganz grundsätzlich Emotionen übertragen, einen ästhetischen Raum in den eingetaucht werden kann. So wie ich mich darüber freue, dass Leute meine Welt verstehen oder sich von meinen Bildern berührt fühlen, freue ich mich auch über abstoßende Reaktionen. Lieber eine starke Reaktion als eine gleichgültige, es geht um eine ästhetische Erfahrung.


Joseph Barrett, London, UK

Du hast gesagt, du beobachtest, wie sich die Definition der Maskulinität in der heutigen Gesellschaft gerade ändert - wieso und auf welche Weise passiert diese Veränderung deiner Meinung nach?

Ja, die traditionellen maskulinen Werte und ihre Bedeutung verändern sich ohne Zweifel. Ich glaube, die Wahrnehmung von Gender folgt der Veränderung in der Gesellschaft, die gerade mehr und mehr eine freiere, genderlose Umgebung schafft.

Credits: Joseph Barrett

Wenn die Grenzen zwischen Gender mehr und mehr ineinander blenden, würden die beiden Konzepte von Maskulinität und Femininität nicht einfach ihre Bedeutung verlieren und irrelevant werden? Würden sie sich nicht beide dem grundsätzlichen Begriff der Menschlichkeit annähern, oder wo würdest du die Grenze zwischen den beiden ziehen?

Ich glaube, das kann jeder individuell für sich entscheiden, wie man gesehen werden will. Es ist aber wichtig, die historischen Archetypen von "maskulin" und "feminin" zu verstehen. Ich denke, diese Konzepte sind willkürlich und die Antwort darauf ist nicht einfach binär. Grundsätzlich glaube ich, ja, es würde alles am Ende auf Menschlichkeit hinauslaufen und hoffentlich wird das Verschwinden von herkömmlichen sozialen Konditionen dazu führen, dass neue, kreative Varianten und Formen entstehen können.

Was ist deine persönliche Idealdefinition von Maskulinität?

Ich habe nicht wirklich eine ideale Definition davon. Es ist alles sehr schwierig auf den Punkt zu bringen und zu definieren, es geht dabei viel mehr darum, was man fühlt. Ich glaube, dass Gender eine Sache ist, die jeder Mensch für sich selbst herausfinden muss und nicht von der Gesellschaft vorgegeben sein sollte.

Credits: Joseph Barrett

Du hast in einem Text auch gesagt, dass es wichtig ist, Schönheit in allen Varianten zu erkennen. Kannst du uns von etwas erzählen - ganz egal was - das du in letzter Zeit als besonders schön empfunden hast?

In letzter Zeit haben es mir Farben angetan! Wenn ein Foto unwiderstehliche Farben hat, ist es pure Schönheit für mich. Das ist etwas, das ich jetzt auch in meiner Arbeit versuche anzuwenden und ich suche immer nach Wegen diese Schönheit darzustellen. Vor einer Weile waren ein paar wilde Rosen in meinem Garten und ihre Farbe zog mich und meine Kamera förmlich an.

Was wäre für dich das größte Kompliment, das dir jemand zu deiner Kunst machen kann?

Darüber habe ich eigentlich noch nie nachgedacht, weil ich mich selbst immer noch als Neuling mit einer geringen Reichweite empfinde. Aber langsam wächst sie. Ich glaube, wenn ich eine Emotion über meine Bilder weitergeben kann, oder jemanden damit inspiriere, würde mich das sehr glücklich machen.

Credits: Joseph Barrett

Liam Warton, Stockholm, Schweden

Du hast im Pressebericht Stephen King zitiert: "Men are not so much gifted with penises as cursed with them" (Der Penis ist für Männer weniger ein Geschenk, als ein Fluch). Kannst du diesen Gedanken ein bisschen ausführen, was ist deiner Meinung nach der Fluch?

Eines meiner wichtigsten Ziele mit dieser Fotostrecke ist es, den verletzenden Effekt von stereotypischen Genderrollen hervorzuheben. Ich finde, Stephen Kings Zitat trifft die Dualität für Männer ganz gut. Es ist eine Metapher dafür, dass Männern ihr Geschlecht gleichzeitig zu Gute kommt, wie auch sie zurückhält und in den derzeitigen Strukturen der Gesellschaft verletzt. Die problematische Realität ist nämlich, dass der Penis symbolisch immer für die Macht von Männern gegenüber Frauen steht, was in der modernen Gesellschaft dem Sexismus dient.

Credits:Liam Warton

Gibt es dann auch den Fluch der Vagina?

Selbstverständlich! Nur weil ich die traditionelle Darstellung von Maskulinität in Frage stelle, heißt das nicht, dass Frauen nicht ebenso unter dem Druck der Gesellschaft leiden. Ich spreche einfach nur eines der vielen Symptome dieses großen Themas an. Es ist vielleicht wichtig zu erwähnen, wenn man Gender-Bilder analysiert, dass diese nicht in Isolation geschehen. Die traditionelle Rolle der Maskulinität ist zum Beispiel eine von Dominanz und Kontrolle, was im wiederum zur Unterdrückung von Frauen am anderen Ende führt. Das bedeutet, dass das Infragestellen und Verändern unserer Einstellung und Erwartungen von Maskulinität (und dessen Auswirkung auf Frauen) im Gegenzug zu mehr Gender Gleichheit führen. Patriarchische Strukturen sind oft der Kern von Problemen, die mit unserer Auffassung und Akzeptanz von Maskuliniät und Femininität zu tun haben.

Du hast gesagt du wolltest eine alternative Maskulinität in deinen Bildern darstellen. Was ist denier Meinung nach die richtige Definition von Maskulinität, oder sollte es vielleicht gar nicht eine einzige, sondern mehrere Definitionen dafür geben?

Im geschriebenen Wort liegt immer Macht; so auch in der Terminologie und den Definitionen, die wir verwenden. Ich denke, es braucht eine komplexere und nuanciertere Auffassung von Gender und Geschlecht in unserer Gesellschaft. Das bedeutet nicht, dass die stereotypischen Gender Definitionen wirklich negativ sind, weil sich ja viele Menschen auf eine positive Art damit identifizieren. Mein Ziel mit dieser Strecke, ist es lediglich, die "Norm" zu überdenken: Diese eindimensionale, stereotypische Darstellung von Männern als stark, sexuell und mächtig. Ich sehe einfach die Wichtigkeit eine alternative und breitere Definition für Maskulinität zu finden!

Credits: Liam Warton

Was hat dich ursprünglich dazu veranlasst, dich fotografisch mit dem Thema auseinander zu setzen?

Mein Verlangen mich mit dem Thema Maskulinität auseinander zu setzen, ist ein Resultat persönlicher Umstände. Ich wuchs als heterosexueller Mann in Australien auf und hatte immer Probleme mich mit den alten maskulinen Stereotypen zu identifizieren, dieses Macho-Ideal eines typischen "Aussie Blokes"... das ist stark verwurzelt in der Australischen Identität. Außerdem bin ich Fotograf, was bedeutet, dass ich zu einer Gruppe gehöre, in der es irgendwie akzeptable ist Frauen im Namen der Kunst auszunutzen und auf ihre Sexualität zu reduzieren - einfach Likes eben. Aber ich würde eben lieber nicht den Männer-Blicken Futter servieren, sondern Frauen und Männer auf gleiche Weise darstellen.

Stell dir jemanden vor, der so richtig engstirnig und konservativ ist: Was wünschst du dir, dass diese Person denkt/fühlt, wenn er/sie deine Bilder betrachtet?

Haha, ich kann mir vorstellen, dass sich so eine Person angegriffen fühlt. Die Tatsache, dass sie sich aber so fühlen würde, ist ein Zeichen, dass diese Art der Kunst und Fotografie wichtig ist um Menschen darauf hinzuweisen, dass Maskulinität und Femininität nicht biologisch in Stein gemeißelt sind, sondern eher soziale Konstrukte, die verändert werden können. Ich würde mich freuen, irgendwann eine offenere, verständnisvollere und akzeptierende Gesellschaft zu erfahren.


Phoebe Jane Barrett, Berlin, Deutschland

Wie sollten die Begriffe "Maskulinität" und "Femininität" deiner Meinung nach definiert sein?

In unserer Gesellschaft war Maskulinität immer durch Taten und Handlungen definiert, während Femininität durch Passivität konstruiert war. Frauen sollen gehorsam, zart, leise, ruhig, fürsorglich und entgegenkommend sein. Männer sollen hingegen bestimmt, stark und mächtig sein. Ich denke, diese Kategorien sind heutzutage schon etwas verblasst, aber auf jeden Fall noch immer existent. Ich persönlich finde, wir sollten uns von dem Gedanken entfernen, dass Femininität und Maskulinität gleichermaßen exklusiv sind. Ich denke, jedes Individuum trägt Spuren beider Kategorie in sich und sie sollte nicht ausschließlich auf Männer oder Frauen projiziert werden.

Credits: Phoebe Jane Barrett

Was empfindest du an Männern schön oder sexy?

Mitgefühl, Einfühlsamkeit, Respekt und Intellekt.

Was sollen Leute in deinen Bildern erkennen?

Sanftheit, Intimität und Verletzlichkeit.

Credits: Phoebe Jane Barrett

Fühlst du dich als Frau von der Gesellschaft unter Druck gesetzt?

Absolut! Ich glaube auch in vielerlei Hinsicht ist es schlimmer für Frauen, ich denke, es ist eine andere Art des Drucks aber beide Geschlechter fühlen sich gleichermaßen eingeschlossen in diese Gesellschaft.

Weshalb fotografierst du analog und im Mittelformat?

Ich wähle das analoge Format weil es eine Sanftheit kreiert, die, wie ich finde, fast unmöglich im digitalen Format ist - außer natürlich, man will Stunden mit Bildbearbeitung verbringen. Ich bevorzuge die Greifbarkeit des Mediums... bei der Analogfotografie hat man das Gefühl, dass man tatsächlich etwas herstellt. Es ist ein physikalischer und künstlerischer Prozess.

Credits: Phoebe Jane Barrett

Alle Details zur Ausstellung findet ihr hier!

Coverfoto: Joseph Barrett

geschrieben von birgitbuchart am 2017-11-07 in #News #Menschen

Mehr interessante Artikel