4 Jahre im Paradies: Unser Leben in Französisch-Polynesien

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Wenn man verreist, sucht man oft besondere Erlebnisse im Ausland. Die wenigsten, aber, haben dabei ein überlebensgroßes Erlebnis. Der Lomograph Stephane Heinz (in der Community als vicuna bekannt) hat die Gelegenheit wahrgenommen, in einer anderen Ecke der Welt zu leben, und verabschiedete sich von seiner Heimat Frankreich. Als er und seine Frau Kathi zurückkehrten, hatten sie Koffer voll unbezahlbarer Erfahrungen und neuen Weltbildern. In diesem Artikel erzählt vicuna von seinem 4 Jahre langen Abenteuer in Französisch-Polynesien.

Ich bin 40 Jahre alt und fotografiere schon seit fast zwei Jahrzehnten analog, was nicht nur ein Hobby ist, sondern eine Leidenschaft. Vor zehn Jahren entdeckte ich Lomography und ich kann nur sagen, dass es mein Leben verändert. Seit dem Punkt wurde meine Interesse an die analoge Fotografie zu einer Besessenheit. Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, nicht auf Film zu fotografieren, und die digitale Fotografie interessiert mich überhaupt nicht.

Sonst unterrichte ich Geschichte und Geografie im Gymnasium in Frankreich. Ich wurde in Deutschland geboren und bin während meiner Kindheit nach Nizza gezogen, wo ich jetzt seit 20 Jahren lebe. Aber den Traum hatte ich noch immer, irgendwo anders zu leben, und dieser Traum wurde endlich realisiert.

Das Jahr 2006 war für mich sehr wichtig. Nachdem ich drei Jahre lang mit einer Holga Kamera fotografiert hatte, wusste ich noch nicht, was Lomography ist, bis ich die Webseite erkundete. So bin ich in die fantastische Welt der Lomographie eingetaucht. In demselben Jahr lernte ich Kathi kennen, und begriff, was die wahre Liebe ist. Sie ist die Liebe meines Lebens: meine Liebe, meine Gefährtin und meine beste Freundin. Sie bedeutet mir alles.

Bevor wir uns kennenlernten, hat Kathi die Welt bereist. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich irgendwo permanent einzuleben. So fühlte ich mich auch. Ich wollte große Änderungen für mein Leben, vor allem weil ich die ganzen 10 Jahre vorher in derselben Schule als Lehrer verbracht hatte. Ich hatte die Routine satt.

Dann entschieden wir uns, irgendwo anders hin zu gehen, und zusammen ein neues Abenteuer zu erleben… Aber wohin?

Ein Abenteuer auf der anderen Seite der Welt

Als Lehrer im Rahmen des französischen Schulsystems darf ich mich um Stellen an französischen Schulen in anderen Ländern bzw. französischen Kolonien in der Welt bewerben. Also bewarb ich mich 2008 um Stellen als Lehrer in Neukaledonien und Französisch-Polynesien. Meine erste Bewerbung hat aber nicht die Antwort erzeugt, auf die wir gehofft hatten. Wir waren enttäuscht, aber wir wollten nicht aufgeben. “Wenn es dieses Jahr nicht klappt, dann nächstes Jahr!” dachten wir uns.

Das Jahr 2009 war dann dran und ich bekam endlich die Antwort, auf die ich wartete – sowohl von Neukaledonien als auch von Französisch-Polynesien. Da ich die Rückmeldung von Französisch-Polynesien zuerst bekam, lehnte ich das Angebot von Neukaledonien ab.

Die Entscheidung für Französisch-Polynesien bereuen wir absolut nicht.

Am 23. Juli 2009 flogen wir nach Französisch-Polynesien und freuten uns darauf, dort vier Jahre lang zu leben und zu arbeiten, wie in meinem Vertrag stand. Natürlich war es nicht so einfach, unserer Familie und unseren Freunden zu sagen, dass wir vier Jahre lang auf der anderen Seite der Welt leben würden. Einen Ort zu verlassen, an dem man vertraut ist und den man mag, um in einem fremden Land zu leben, ist schwierig. Aber wir wollten es, und ich glaube, wir brauchten es auch ein bisschen.

Da wir im Sommer ankamen fühlten wir uns ein bisschen wie Touristen, als wir in Papeete auf Tahiti landeten. Auch wenn es dort Winter war (weil die Insel auf der Südhalbkugel liegt), war es trotzdem genau so, wie wir uns den Sommer vorstellen würden: tropisch und fast 30 C°. Aber meiner Meinung nach ist Papeete nich so toll; der Strassenverkehr ist schrecklich. Wenn du vom Paradies träumst, wird diese Stadt dich enttäuschen.

Wir hatten sowieso nicht vor, auf Tahiti zu bleiben, weil meine neue Schule auf der Insel Raiatea liegt – ungefähr 200 Kilometer vom Nordwesten Tahiti entfernt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie von Raiatea gehört. Die bekanntesten Inseln sind eher Tahiti und Bora Bora. Raiatea liegt genau zwischen den zwei, und jetzt, da ich dort gelebt habe, halte ich sie für eine der Schönsten der Inseln.

Der erste Tag

Ich kann mich noch an unseren ersten Tag auf Raiatea erinnern. Es war am Freitag, ungefähr 4 Uhr nachmittags, in der kleinen Stadt Uturoa. Diese ist die einzige Stadt der Insel, war aber komplett leer. Der Himmel wurde grau und es fing an zu regnen. So hatte ich mir Französisch-Polynesien nicht vorgestellt, und für einen Moment fragte ich mich, ob ich unsere Entscheidung bereuen würde. Was, wenn es alles schief läuft? Was, wenn das Leben hier doch nicht so schön ist, wie wir uns es vorgestellt haben? Was, wenn wir uns finanziell nicht stützen können – und das auf einer kleinen Insel in der Mitte des Ozeans, weit von Europa entfernt? Es gab auf einmal einfach so viele Fragen.

Ich glaube, das war aber eine normale Reaktion. Sowas Neues und Großes gibt es nicht ohne ein bisschen Angst und den Gedanken, einen Fehler gemacht zu haben. Zum Glück blieben die Ängste nicht lange.

Bald hatten wir einen Termin mit einer Immobilienagentur. Das Haus, das wir uns angeschaut hatten, gab uns das Gefühl, dass wir dort gut leben konnten. Wir sahen verschiedene wunderschöne Häuser mit tropischen Gärten, schönen Terrassen, Zugang zum Strand und sehr bezahlbaren Preisen. Solche Häuser würden in Europa zehnmal so viel kosten.

Wie sieht es für den Lomographen aus?

Als Lomograph war eine meiner ersten Fragen, wie ich meine Filme auf der Insel entwickeln lassen könnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, an so einem wunderschönen Ort nicht viel fotografieren zu können. Zum Glück fand ich schnell heraus, dass es ein Fotolabor in Uturoa gibt. Und kompliziert war es alles auch nicht. In dieser “Stadt” gab es nur zwei Straßen und ein paar Läden. Hallelujah! Ich ging rein und fragte, ob sie Filme entwickeln, worauf sie “Ja!” gesagt haben. Sie baten aber nur das C-41 Verfahren an. Und da sie ihre Filme weiter nach Tahiti schicken, war es klar, dass es keine anderen Möglichkeiten in Französisch-Polynesien gibt.

Dass das E-6 Verfahren keine Möglichkeit war, war nicht so ein großes Problem. Ich lasse eh fast all meine Dia-Filme crossentwickeln. Aber ich fand es sehr schade, dass Schwarzweißfotografie nicht mehr eine Möglichkeit war. In der Zeit hatte ich schon viele Rollen Schwarzweißfilm fürs Entwickeln bereit, die ich dann nur ins Ausland schicken konnte. Ich fand ein Labor in Hawaii, das es günstig genug machen würde, aber die Versandkosten waren so hoch und es hätte fast einen Monat gedauert, bevor die fertigen Filme bei mir wieder landen würden.

Also habe ich mich entschieden, meine Schwarzweißfilme von Zuhause aus zu entwickeln, und das war eine der besten Entscheidungen, die ich getroffen habe! Endlich gab es keine Probleme mehr mit den Schwarzweißfilmen. Die Leute beim Uturoa Fotolabor haben sich auch immer gefreut, mich zu sehen, und sie wussten, dass ich immer haufenweise Filme dabei hatte.

Ich hatte nur einen Teil meiner Kamerasammlung mit. Einen Großteil meiner Lomography Kameras hatte ich mit, aber meine Vintage-Kameras waren noch in Frankreich. Ich hatte Angst, dass die Hitze und Luftfeuchtigkeit in Französisch-Polynesien meinen geschätzten Kameras schaden könnten. Aber ohne meine LC-A+, Horizon Kompakt, Lubitel+, Holga und Diana F+ geht’s nicht! Und ich habe mir sogar auf der Insel noch weitere Kameras gekauft und bin wieder zuhause mit einer erweiterten Sammlung angekommen. Während meiner vierjährigen Bleibe habe ich mir eine Sprocket Rocket, Spinner 360, Belair, Horizon Perfekt, LC-Wide, Nikonos Unterwasser-Kamera und noch mehr gekauft. Und die alle habe ich sehr oft benutzt!

Fotografieren in Polynesien

Meine Zeit beim Fotografieren in Polynesien weiß ich zu schätzen. Ich hatte die Möglichkeit und Zeit, an den schönsten Orten zu fotografieren, die ich je gesehen habe. Im Laufe der vier Jahre habe ich zwischen 8,000 und 10,000 Fotos gemacht. Aber ich konnte mir nicht helfen: Ich war laufend von der Schönheit der Insel und der Menschen erstaunt.

Am Anfang war ich von allem beeindruckt; alles, was ich sah, war faszinierend. Nach ein paar Monaten, nachdem ich mich ein bisschen besser mit der Insel auskannte, sah ich es anders. Ich fand, dass die wunderschönen Landschaften nur Postkarten-Motive baten. Ich wollte nicht die ganzen vier Jahre lang nur Postkarten-Motive aufnehmen. Ich hatte Angst, es würde mir schnell langweilig werden und dass die Inspiration nachlassen würde.

Die Quintessenz der Schönheit

Endlich begriff ich etwas sehr Wichtiges: die Quintessenz der Schönheit im polynesischen Sinne. Das mag vielleicht ein bisschen mysteriös klingen, aber das ist einfach etwas, das ich durch mein Verständnis der polynesischen Kultur und der Menschen erfuhr. Durch Konversation mit den Einwohnern, fing ich an, die Grundsätze der polynesischen Kultur zu verstehen. Ich fragte mich, wie vielleicht auch alle anderen Europäer bzw. Westländer, warum es so scheint, dass die Leute dort keinerlei Stress, Angst oder sonstige Sorgen haben. Natürlich gibt es Probleme in der polynesischen Gesellschaft insgesamt. Aber das Leben der Einwohner ist insgesamt ruhig, im Einklang mit der Natur. Probleme werden durch eine einfache Philosophie, die sich auf die Schönheit der Natur bezieht, gelöst.

Die Menschen der Insel haben es mir so erzählt: Wenn sich ein Problem zeigt oder etwas schief geht, gibt es keinen Grund, sich Sorgen zu machen oder Stress und Ängste zu haben. Man sollte sich einfach an der Lagune hinsetzen, den Sonnenuntergang anschauen, dem See gegenüberstehen, meditieren und genießen, was dir die Natur bietet. Die kleinen Probleme im Leben sind nichts im Vergleich zu dem, was die Natur bietet.

Also ist die Schönheit der Natur nicht rein ästhetisch. Es muss keine intellektuelle Analyse der Schönheit geben. Für die Polynesier sind äußerliche Schönheit und die innerliche ein und dieselbe. Es gibt nichts dazwischen. Es gibt nichts zu analysieren. Man muss es einfach wahrnehmen und empfinden. Alles andere ist egal.

Lektionen des Lebens

Die Polynesier tendieren dazu, sich über die Europäer lustig zu machen, weil wir alles analysieren wollen, als ob es immer eine intellektuelle Interpretation von etwas geben muss. Die Polynesier finden, das muss nicht sein. Man muss etwas nicht diskutieren oder analysieren, wenn man es empfinden kann.

Das Leben anders zu betrachten war ohne Zweifel das Wichtigste, was ich im Laufe meiner Bleibe gelernt habe. Es gibt keinen Grund, so zu tun, als ob man alles versteht und analysiert. Das Leben kann einfach sein, wenn man es so will. Kreiere nicht deine eigenen Probleme und hör auf, ständig über das, was du machst, zu jammern. Und das Wichtigste: Du bist der Einzige, der entscheiden darf, wie du dein Leben führen möchtest.

Ein volles und offenes Herz

Was ich am meisten an meiner Bleibe in Französisch-Polynesien geliebt habe, war das, was ich über menschliche Beziehungen erfahren habe. Die Polynesier sind sehr ehrliche Menschen. Sie haben gute Herzen. Sie würden dir alles geben, wenn sie dir vertrauen und dich für ehrlich halten. Aber wenn sie das Gefühl haben, du hast kein gutes Herz hast, werden sie dich komplett ignorieren.

Als Lehrer sah ich das oft. In den ersten Monaten wurde ich von anderen Menschen, vor allem meinen Schülern, beobachtet. Sie wussten, ich war der neue Geschichte-Lehrer, auch wenn ich sie noch nicht kannte.

Am Anfang war es ein bisschen komisch. Sie waren zwar immer nett aber ein bisschen distanziert mir und Kathi gegenüber. Nach einer Weile fühlten wir uns endlich akzeptiert und wir fingen an, uns den Einwohnern zu öffnen. Wir zeigten ihnen, dass wir ihre Traditionen und ihren Lebensstil wahrnehmen. Ab dem Punkt wurde alles besser und besser.

Am Ende unseres letzten Jahres in Französisch-Polynesien war es allen klar, dass wir wieder nach Europa mussten. Viele der Einwohner waren bekümmert und sagten uns, wir sollen bleiben.

Ein fantastischer, herzlicher Abschied

Meine Schüler sagten mir dann jeden Tag, “Sie dürfen nicht weg. Sie dürfen uns nicht verlassen.” Sie haben sogar eine unglaubliche, wenn auch dramatische, Abschiedszeremonie durchgeführt. Sie sammelten sich und sangen ein Lied für mich auf Tahitisch, das übersetzt heißt: Ich war der Lehrer, auf denen sie gewartet haben und sie werden mich nie vergessen.

Danach schenkte mir jeder Schüler nach Tradition eine Muschelkette. Wenn jemand ankommt, wird einem eine Blumenkette geschenkt; wenn man sich verabschiedet, bekommt man eine Muschelkette. Es war sehr emotional und natürlich hatten alle Tränen in den Augen. Wenn ich mir jetzt die Ketten anschaue, werde ich noch immer ein bisschen emotional.

Ich kann jetzt sagen, dass ich das einfache und wunderschöne Leben auf Raiatea vermisse. Wer würde das nicht? Man sieht jeden morgen einen wunderschönen Sonnenaufgang, geht glücklich zur Arbeit, sieht die Schüler am Tag, genießt am Nachmittag ein Bad im Meer oder in der Lagune. Dann gibt es noch den Sonnenuntergang und ein Wochenende auf einer anderen Insel, wundervolle Momente mit Freunden – das alles vermisse ich. Glücklich zu sein war in diesem unglaublichen Teil der Welt so einfach.

Französisch-Polynesien zu besuchen war definitiv ein einmaliges Erlebnis, und ich würde jedem empfehlen, es selber zu erleben. Die Gesellschaftsinseln, mit Raiatea, Huahine, Taha’a, Moorea und Maupiti sind unglaubliche Orte. Die Marquesas-Inseln sind auch toll, und auch noch der Tuamotu-Archipel. Wenn du die Möglichkeit hast, diese Orte zu besuchen, solltest du es unbedingt tun!

2015-02-09 #Orte #location #paradies #reisen #reise

6 Kommentare

  1. zonderbar
    zonderbar ·

    Traumhaft schön!

  2. vicuna
    vicuna ·

    Danke @zonderbar! :)

  3. gepo1303
    gepo1303 ·

    Toller Bericht, gratuliere zur Lebenserfahrung. Und wer postet demnächst Bilder von dort? ;-)

  4. larissa92
    larissa92 ·

    Das klingt nach einer ganz wunderbaren Zeit, die du da erlebt hast. Ich werde Ende des Jahres (jedenfalls ist das geplant) für ein paar Monate nach Tahiti reisen, könntest du mir vielleicht ein paar Fragen beantworten? :)
    LG
    Larissa

  5. pierre-domenique
    pierre-domenique ·

    Da treffe ich die Vorbereitungen dorthin zu reisen und finde diese nette Gegebenheit einer Verwirklichung. Vor etwas mehr als 10 Jahre war ich dort, spürte den Duft die Ausstrahlung Menschlicher Verbundenheit, aber auch die Diskrepanz den Streik zwischen Autonomie und westlicher Anbindung. ....., da bin ich bald wieder, es hat mich nie losgelassen. pierre-domenique
    pdjodry@gmail.com

  6. ckolter
    ckolter ·

    Wunderbarer und sehr inspirierender Text!

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