Der Trabi unter den Kameras: Die Pouva Start
14 26 Share TweetWestdeutschland hatte die Agfa Clack. Sie war Einstiegsmodell und Alltagsgerät für Zigtausende. Ostdeutschland hatte die Pouva Start. Einfach zu bedienen, gut transportabel, überraschend gute Resultate. Nicht die einzigen Ähnlichkeiten dieser beiden Kameras…
Warum Mittelformat?
Wenn man heutzutage im Mittelformat fotografiert, kommen einem die Negative (und erst recht Dias!) riesig groß vor. Doch wie der Name schon verrät, markierte das Format von 6×6 oder 6×9 nur die Mitte der Bandbreite. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gab es zuerst die Plattenkameras, die Negative in üblichen Fotogrößen produzierten, die aber unhandlich und umständlich waren. Dann kam der Rollfilm, es muss den damaligen Fotografen revolutionär vorgekommen sein. 8 Bilder (oder im quadratischen Format sogar 12!), ohne eine Platte zu wechseln! Der Kleinbildfilm wurde etwas später aus dem Kinoformat 35mm entwickelt, blieb aber bis in die 50er Jahre hinein eine Ausnahmeerscheinung.
Jetzt fragt man sich, warum es gerade aus den 40er und 50er Jahren so viele Rollfilmkameras gibt. Der Grund ist einfach: Entwickelt wurde damals vielfach noch zuhause, da dazu weder große Kenntnisse noch große Gerätschaften notwendig waren. Vergrößern allerdings erfordert beides, und daher wurden damals viele Fotos im Kontaktabzug hergestellt, das heißt das Negativ wurde zusammen mit einem gleich großen Stück Fotopapier belichtet, ohne dass ein Vergrößerer dazu notwendig wäre. Bei einem Mittelformatnegativ von 6×9cm erhielt man so die Bilder, die ihr bestimmt schon einmal in den Fotoalben eurer Großeltern gesehen habt. Nebeneffekt: Je weniger ein Bild vergrößert werden muss, desto weniger treten auch Fehler, die durch Unzulänglichkeiten der Technik oder der Fotografen entstehen, hervor. Aus diesem Grunde waren gerade die typischen, günstigen Anfängerknipsen, Mittelformatkameras. Vor dem Krieg und auch noch ein Weilchen danach war es in der Hauptsache die Agfa Box, die die Massen herumtrugen, nach dem Krieg die Agfa Clack im Westen und die Pouva Start im Osten. Ist das Baumaterial (Clack aus Blech, Pouva aus Bakelt) auch verschieden, die Bedienung der jeweils einen Kamera stellt für den Besitzer der jeweils anderen keine große Herausforderung dar, so ähnlich ist die Grundkonstruktion, und so wenig Funktionen gibt es.
Die Pouva
Die Pouva Start wurde von der Firma Karl Pouva AG in Freital, nahe Dresden, von 1952 bis 1973 in zwei verschiedenen Versionen hergestellt. Die ältere Baureihe bis 1956 (das Modell, das ich besitze) hatte statt einem normalen Sucher einen großen, aufklappbaren Glaslupensucher, bestehend aus einer großen und einer kleinen Linse, durch die man das Ziel anpeilt. Klappt erstaunlich gut, vor allem kann sich so kein Staub im Sucher sammeln. Das spätere Modell hat dann einen normalen Sucher.
Wenn man die Kamera zum ersten Mal (am besten noch in einer Bereitschaftstasche) in der Hand hält, ist man verwundert, weil sie sehr flach erscheint. Die Agfa Clack ist (gefühlt) doppelt so dick. Das Geheimnis ist schnell geklärt, ähnlich wie bei der La Sardina muss das Objektiv herausgedreht werden. Aber nicht nur eine Viertelumdrehung, sondern ca. eine ganze. Geführt wird dieser Vorgang von einem dicken Plastikgewinde. Ist der Objektivtubus eingefahren, funktioniert der Auslöser nicht. Sehr angenehm, so kommt es nicht zu versehentlichen Fehlbelichtungen. Der Auslöser kann übrigens auch zum Zweck von Langzeitaufnahmen festgesetzt werden. Dazu positioniert man die Kamera, stellt vorne auf „B“ um, hält die Linse zu, drückt den Auslöser und schiebt gleichzeitig das daneben liegende Metallstück darüber, das den Auslöser festhält. Jetzt einfach die Linse freimachen, solange belichten, wie man möchte und dann den Auslöser wieder freigeben. Ich habe noch keine Ergebnisfotos davon, werde es aber sicher mal ausprobieren.
Wie bei den meisten günstigen Mittelformatkameras sieht man das aktuelle Bild in einem (nicht verschließbaren) Sichtfenster auf der Rückseite der Kamera; eine Sperre gegen Doppelbelichtungen gibt es nicht, also Obacht. An Bedienelementen gibt es insgesamt: Das Transportrad, den Auslöser samt Sperre, die Auswahl zwischen Moment und Zeit (B) sowie eine Blendenwahl zwischen f/8 und f/16 (trüb bzw. sonnig). Und das war’s!
Ergebnisse!
Aber genug der Theorie, was macht sie denn für Bilder? Um es vorwegzunehmen: Ich bin begeistert von den Resultaten dieser wirklich simplen Kamera… Hier ein paar Bilder des ersten Filmes:
Wie man sieht, sind Farben und Kontraste traumhaft, und manchmal stiehlt sich sogar ein bißchen Vignette ins Bild… Auch schwarz-weiß macht sie eine richtig gute Figur, und eigentlich ist das ja auch ihr ursprüngliches Fachgebiet:
Und auch als Reisekamera taugt sie prima, weil sie handlich, sehr leicht und (mangels Einstellungsmöglichkeiten) blitzschnell schussbereit ist:
Ich kann euch nur raten, diesem Bakelitdinosaurier ein Eckchen in eurem Kameraschrank freizuräumen. Ihr findet sie sehr günstig bei Ebay und co., und vermutlich auch auf Trödelmärkten im Osten. Meine hat mit Versand und Bereitschaftstasche 14€ gekostet, und ich habe bisher keinen Cent davon bereut. Ein ganz großer Dank an dieser Stelle noch an Alex34. Er hat mich erst auf die Pouva Start gebracht, und macht selbst auch wunderschöne Bilder damit. Ich bin gespannt, wie eure Resultate ausehen werden!
geschrieben von marcel2cv am 2012-08-17 in #Ausrüstung #review #ddr #gdr #mittelformat #pouva_start #bakelit
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