Queens of Eastern Europe – eine Fotodokumentation von Sebastian Franke und Paul Max

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Letztes Jahr erreichte uns eine Nachricht von Sebastian Franke, einem jungen Fotografen und Filmemacher aus Leipzig, der sich gemeinsam mit dem Jenaer Studenten Paul Max auf den Weg durch Osteuropa gemacht hat, um die dortige Drag-Queen-Szene analog festzuhalten. Für ihre Fotodokumentation Queens of Eastern Europe sind sie durch Lettland, Polen, die Ukraine, Russland, Serbien und Ungarn gereist und haben die dort lebenden Drag Queens fotografiert und interviewt. Daraus entstanden ist ein sehr spannendes Projekt über eine Subkultur, die im Osten Europas immer noch auf viel Ablehnung trifft. Passend zur Ausstellungseröffnung in Weimar haben wir uns Sebastian ins Magazin geholt, um ein wenig mehr über das Projekt zu erfahren.

Hallo Sebastian, willkommen im Lomography-Magazin! Wir freuen uns sehr, euch heute hier begrüßen zu dürfen. Bitte stell dich und Paul unseren Lesern zu Beginn kurz vor.

Sebastian ist Fotograf und Filmemacher aus Leipzig. Nach einigen Kurzfilmen und seinem Debüt mit dem Langspielfilm Königssöhne (2014), begann er bereits 2016 Drag Queens in Deutschland zu fotografieren, bevor die Idee für das Projekt Queens Of Eastern Europe über die Drag-Szene in Osteuropa ins Leben gerufen wurde. Das Fotoprojekt, für welches Sebastian Ende Mai 2018 seine erste Reise antrat wird ihn wahrscheinlich noch die kommenden 10 - vielleicht sogar 20 Jahre begleiten. Basierend auf dem Fotoprojekt ist derzeit ein Dokumentarfilm in Planung, für welchen Sebastian mit einem kleinen Team bereits in Warschau erste Probeaufnahmen anfertigen konnte.

Paul hat 2018 sein Bachelorstudium abgeschlossen und dabei im Fachbereich Soziologie bereits zahlreich über die gesellschaftliche Situation von Homosexuellen bzw. LGBTI* in unterschiedlichen Kontexten recherchiert und geschrieben. Inzwischen schreibt er an seiner Masterarbeit im Bereich Öffentliche Kommunikation und als Mitglied des QOEE-Teams kümmert er sich im Wesentlichen um den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen und die Ausstellungskoordinierung.

Derzeit seid ihr für das Projekt Queens of Eastern Europe unterwegs. Dabei geht es unter anderem darum, die osteuropäische Drag-Queen-Szene besser kennen zu lernen und herauszufinden, wie diese stark mit der Homosexualität verknüpfte Subkultur in Ländern gelebt wird, in denen die LGBTQ+-Szene nach wie vor mit einem starken Stigma behaftet ist. Das ist ein sehr spannendes und auch wichtiges Thema. Deshalb die Frage: Wie kamt ihr darauf, dieses Projekt ins Leben zu rufen?

Ich habe ja schon seit 2016 insbesondere in Leipzig einen jungen Drag-Künstler lange Zeit mit der Kamera begleitet und wußte, dass das Thema Drag genau mein Ding war.
Nun ist es so, wenn Du künstlerisch arbeitest, egal in welchem Bereich, dann bist Du ständig dabei, Dich und Deine Arbeit zu hinterfragen und darüber nachzudenken, was Du der Welt mit dem, was Du tust, einmal hinterlassen wirst. Für mich als Filmemacher und Fotograf definiert sich ein Künstler aufgrund seiner Außenwirkung unter anderem durch den Begriff der Verantwortung. Also welcher Verantwortung sollte ich nun mit den Drag-Bildern gerecht werden? Als Filmemacher willst Du Geschichten erzählen, die andere Menschen bewegen, mitreisen, Fragen zum Leben stellen lassen. Jede gute Geschichte hat einen Protagonisten, mit dem wir uns identifizieren können, von dem wir mehr erfahren möchten. Ein Mensch, der innere und äußere Konflikte auf seinem Weg durchlebt, mit Träumen, Wünschen und Hoffnungen einerseits und antagonistischen Lebenssituationen andererseits, in denen wir uns alle irgendwie wieder finden. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich zwar eine Menge interessanter und sehr ästhetischer Bilder in Deutschland geschossen habe, aber gleichsam kam die Frage auf, auf welche Reise ich die Menschen mit diesen Bildern eigentlich mitnehmen will? Wo setze ich bei meinen Protagonisten an, um den Menschen eine Geschichte über das Leben zu erzählen? Und so saß ich eines Abends mit einem guten Freund bei mir daheim auf der Couch, wir schauten meine Bilder an, diskutierten darüber und sprachen über die Drag-Szene und meine Funktion als Fotograf. Mir war ziemlich klar, dass ich weiterhin Drag Queens fotografieren werde, ich aber tiefer und weiter gehen wollte – Charaktere und Geschichten des Lebens finden wollte.

Ich habe einige Freunde in Osteuropa und weiß, dass es die Queere Community dort in einigen Ländern immer noch ziemlich schwer hat. Gerade mit der rechtlichen Situation in Russland, den Wertevorstellungen und Traditionen in vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks, aber auch die Rhetorik einiger nationalkonservativen Politiker in vielen Ländern, die suggeriert, Homosexuelle würden eine Gefahr für die moralische Integrität und das traditionelle Wertesystem der jeweiligen Länder darstellen, vor die man die Gesellschaft zu schützen habe, sind schon ein ziemlich harter Brocken.
Über die Drag-Szene in Osteuropa wußte ich absolut nichts. Aber mir kam an dem Abend dieser Gedanke und ich sagte zu dem Freund auf der Couch neben mir so was in der Art wie: „…Wie ist das eigentlich mit der Drag-Szene in Osteuropa? Ich meine, was wäre denn, wenn ich mit meiner Kamera nach Osteuropa reise und dort die Drag-Szene erkunde?“ Und wie ich das ausgesprochen hatte, war es, als ob Du ein brennendes Streichholz in einen Reisighaufen wirfst. Ich bin vom Sofa aufgesprungen und wußte, dass ich dieses Abenteuer starten würde. „_Queens Of Eastern Europe_“ der Titel war sofort parat. Seit dem Moment habe ich alles daran gesetzt, dieses Projekt zu verwirklichen. Habe Paul gefragt, ob bei dem Projekt mitmachen will, haufenweise Exposés und Finanzanträge geschrieben, um das ganze Abenteuer zu finanzieren … das volle Programm eben, bevor man so ein Projekt startet.

Welchen Schwierigkeiten oder Hindernissen seid ihr während eurer Reise begegnet?

Die erste Hürde war zunächst das Projekt zu finanzieren. Die vielen Reisen, das Filmmaterial, die Chemie für Filmentwicklung, Barytpapier, die Miete für ein Fotolabor… Einen Großteil wollte Sebastian mit einem Auftrag finanzieren, der ihm gutes Geld eingebracht hätte. Der Auftrag wurde jedoch zwei Wochen vor Beginn abgesagt. Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung von Stiftungen und öffentlichen Institutionen haben wir dann aber doch ein ganz gutes Budget zusammenbekommen. Sebastian hat dann noch seinen Rentensparvertrag gekündigt und in das Projekt gesteckt. Während der ersten Reise war es schwierig eine Drag Queen, mit der Sebastian verabredet war, überhaupt vor die Kamera zu bekommen. Es war eine Reise von 10 Tagen in ein Land gebucht und nach 5 Tagen des Wartens hatte Sebastian immer noch keine Bilder, weil ihn die Drag Queen jeden Tag wieder aufs Neue auf den nächsten Tag vertröstet hat. Da hieß es dann, geduldig sein. Die letzten drei Tage ist er dann aber doch noch zu seinen Bildern gekommen. In einem anderen Land ist eine Verabredung mit einer Drag Queen geplatzt, weil sie plötzlich nicht mehr erreichbar war. Durch Zufall haben wir dann jedoch eine der wichtigsten Protagonisten des Projekts getroffen.

Ihr wart bereits einige Wochen für Queens of Eastern Europe unterwegs und habt viele Eindrücke gesammelt. Gab es Momente, die euch ganz besonders in Erinnerung geblieben sind?

Ja, auf jeden Fall. Besonders die erste Begegnung mit Andrezej (81) bzw. Lulla als Drag Queen. In Warschau hatte ich ein Treffen mit Drag Queen Kim Lee und einer weiteren Queen vereinbart. Das Treffen mit Kim lief perfekt. Die andere war jedoch plötzlich nicht mehr erreichbar. Da saß ich nun bei Kim im Dressing Room und erzählte ihr davon, dass mein zweiter Termin wahrscheinlich geplatzt ist und sie meinte: „Ach weißt Du, morgen kommt Lulla zu mir, die hat einen Auftritt auf einer Party und ich werde sie schminken ... sie ist 80. Ich kann sie anrufen und fragen, ob …“ Bitte wie alt? 80? Wow!
Am nächsten Tag traf ich Lulla und Lulla nahm mich mit auf diese verrückte Geburtstagsparty eines 60-jährigen Polen. Lulla hab ich seit dem mindestens 6 mal getroffen, obwohl wir uns ohne Übersetzer nicht einmal verständigen können. Wenn ich ihr über Facebook schreibe, muss ich den Google-Translator benutzen. Lulla wurde 1938 in Warschau geboren und hat mit ca. 30 Jahren zu Zeiten des Kommunismus ihre Leidenschaft für Drag entdeckt. Durch sie und ihre Geschichten hat sich meinen Blick auf die gesamte Drag-Szene absolut erweitert.

Wie sind euch die Menschen begegnet, die ihr unterwegs getroffen habt und die von eurem Vorhaben wussten? Sowohl die Drag-Queens, als auch Außenstehende?

Alle Drag Queens, die Teil des Projektes sind waren total begeistert von dem Projekt und viele haben mich unterstützt, wo sie nur konnten. Außenstehende waren ziemlich erstaunt. Ich habe mal einem Taxifahrer in Polen von meinem Projekt erzählt und der wußte überhaupt nicht, dass es Drag Queens in Polen gibt. Dabei hat Warschau sogar eine sehr lebendige Drag-Szene.

Wie kamt ihr in Berührung mit den Drag-Queens? Habt ihr Shows besucht oder sie individuell anderweitig kontaktiert?

Zunächst wußte ich ja überhaupt nichts über die Drag-Szene in all den Ländern, in denen ich gewesen bin. Ich wußte nicht mal, ob da überhaupt eine Drag-Szene existiert und was dort so alles abgeht. Also habe ich mich vor den Rechner gesetzt und recherchiert und recherchiert, LGBT-Organisationen in den Ländern angeschrieben, Artikel gesucht, bin in die Bibliothek gerannt, und habe Fachartikel gesucht, YouTube durchforstet und mir die Drag-Namen, die dort auftauchten, notiert. Dann einfach über die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Instagram die Leute angeschrieben, mein Projekt erklärt und gehofft, dass sich jemand meldet. Einige haben sich gemeldet, waren total begeistert und wollten unbedingt mitmachen, haben sich dann aber doch nicht mehr gemeldet, bei manchen kam gar keine Antwort zurück, andere wollten gleich eine Gegenleistung wie Geld oder die Möglichkeit für einen bezahlten Auftritt in Deutschland ... Und mit ein paar Kontakten kam ich dann übers Schreiben und teilweise auch Skypen in engeren Kontakt und konnte so nach und nach einige Termine für meine ersten Reisen klarmachen. Unterwegs hab ich dann aber einige wichtige Menschen für das Projekt eher durch Zufall getroffen – so wie Lulla in Warschau (s.o.).

Auch mein Lieblingsbild habe ich in einem Schwulenclub in Stankt Petersburg von einer Drag Queen geschossen, die rein zufällig dort war. Central Station Club ist der größte Gay-Club in Sankt Petersburg, über mehrer Etagen. Dort treten meist am Wochenende ziemlich viele Drag Queens auf. Ich hatte vorher ein Treffen mit einem Verantwortlichem des Clubs und wir haben lange gesprochen, weil ich einige Nächte dort fotografieren und mit den Leuten reden wollte. Ich bekam Zutritt zu allen Bereichen und die Türcodes zu jedem Dressing-Room, so dass ich mich dort überall frei bewegen konnte. Der Art Director ging mit mir durch jede Umkleid und informierte die Queens über mein Projekt und ich ließ ihn übersetzen, dass wer sich nicht fotografieren lassen wolle, mir ein Zeichen geben konnte. Und so habe ich einige sehr spannende Gespräche geführt, viele Bilder geschossen und ab und zu gaben mir zwei der Queens durch einen kurzen Blick zu verstehen, dass sie in einer bestimmten Situation nicht fotografiert werden wollten. Dann nahm ich die Kamera runter. Auf Ablehnung bin ich eigentlich nie gestoßen. Nur in Budapest wollte sich eine ältere Drag Queen nicht auf das Projekt einlassen, weil ich kein Geld zahlen konnte (und wollte).

Wie waren die Reaktionen auf euer Projekt in Deutschland? Wie wird die Drag-Szene hier eurer Meinung nach wahrgenommen?

In Deutschland durchgehend sehr positiv und auch sehr neugierig. Viele Menschen kennen nur RuPaul´s Drag Race und wissen gar nicht, das es in Osteuropa eine sehr vielfältige Drag-Szene mit einer sehr langen Tradition gibt. Für viele Menschen eröffne ich durch meine Bilder und die Geschichten, die damit verbunden sind völlig neue Horizonte.

Sebastian, wie kamst du zur Fotografie? Fotografierst du auch digital oder nur analog?

Fotoapparate haben mich schon als Kind fasziniert. Als Jugendlicher hab ich mir meine erste analoge Kamera – damals noch mit einem externen analogen Lichtmesser, gekauft. Dann war ich mal total pleite und hab die Kamera verkauft, um mir Bier und Zigaretten zu besorgen. Später hab ich mir dann eine Praktika MTL 5b gekauft. Als Filmemacher ist der Weg zu Fotografie nicht sehr weit und die Fotografie kann Dir für das Filmemachen auch sehr hilfreich sein. Ich fotografiere ausschließlich analog. Und wäre das Material und die Entwicklung nicht so enorm teuer, würde ich auch meine Filme analog drehen. Gäbe es keine analogen Fotokameras mehr, ich würde sofort das Interesse an der Fotografie verlieren. Fotografie ist für mich persönlich untrennbar mit dem Filmmaterial, dem Einlegen des Filmes und dem ganzen Prozess des analogen Fotografierens verbunden. Für mich gibt es da nichts anderes: Den mechanischen und chemischen Vorgängen in der Kamera beim Belichten des Filmes sowie seinem Auge, den eigenen Fähigkeiten und seiner Intuition zu vertrauen. Das Entwickeln der Bilder daheim, das Anfertigen der Handabzüge im Labor. Ja klar, in all den Ländern analog zu fotografieren ist auf lange Sicht teuer und aufwendig. Aber das ist es mir wert uns ist genau das, was ich liebe – die allerbeste und teuerste Digitalkamera könnte mir niemals das geben, was mir die analoge Fotografie gibt. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Digitalkamera besessen und möchte auch nie eine haben. Wenn man die Bilder sieht und die Handabzüge auf Barytpapier (das Projekt wird sowohl in Farbe, als auch Schwarz-Weiß fotografiert) – das sind für mich Bilder, die leben, die Geschichten erzählen.

Die hier gezeigten Fotos sind allesamt auf unserem Lomography Color Negative 120 400 ISO entstanden. Was gefällt dir am Look dieses Films?

Ich nutze ja für verschiedene Situationen unterschiedliche Filme. Einen Stamm-Schwarz-Weiß-Film und verschiedene Farbfilme. Der Look und die Farbwiedergabe eurer 400 Farb-Filme passen einfach optimal zu vielen Situationen des Projekts. Wenn ich zum Beispiel in Clubs schieße, dann bringen die Filme ziemlich gut die Stimmung und Atmosphäre an diesen Orten in Osteuropa zur Geltung. Ich finde es ein bißchen schade, dass ihr den 400 Tungsten nicht mehr habt. Ich denke, ich hätte ihn geliebt. Gebt auf alle Fälle bescheid, wenn er wieder im Bestand dabei ist.

Danke Sebastian für dieses interessante Interview und alles Gute weiterhin für euer Projekt.


Falls euch dieses Projekt genau so begeistert hat wie uns und ihr gerade in der Gegend seid, solltet ihr euch nicht die Chance nehmen lassen, euch Queen of Eastern Europe in Weimar anzusehen. Die Ausstellung läuft bis Juli und ist im Weimarer Hauptbahnhof zu finden. Die Adresse lautet Schopenhauerstr. 2, 99423 Weimar.
Und falls ihr es bis Juli nicht nach Weimar schaffen solltet, könnt ihr euch auf der offiziellen Website der Queens of Eastern Europe einen Eindruck vom Projekt verschaffen. Auf Instagram und Facebook gibt es ebenfalls viele interessante Impressionen.

geschrieben von mausmitkrawatte am 2019-06-22 in #Menschen #queens-of-eastern-europe #lgbtqia

2 Kommentare

  1. berlin-runner
    berlin-runner ·

    Tolles Projekt!
    Interessantes Interview.
    Gerne mehr LGBT/queer-Themen auf lomography!

  2. mausmitkrawatte
    mausmitkrawatte ·

    @berlin-runner Vielen Dank für dein Feedback und die Anregung bezüglich zukünftigen Artikeln :) Dieser hier war sicherlich nicht der letzte dieser Art!

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