LomoWomen: Mirella Cardoso über Selbstbewusstsein vor und hinter der Kamera

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Im Women's History Monat März wollen wir uns Arbeiten von aufstrebenden Fotografinnen genauer ansehen. Mit Projekten wie Curated By Girls oder Girlgaze Project werden mehr und mehr Plattformen erschaffen um den weiblichen Blick auf die Welt zu liefern. Aber wie sieht der denn genau aus und auf welche Art und Weise beeinflusst unser Geschlecht die Kunst? Wie empfinden die Künstlerinnen selbst die Arbeit in der von Männern dominierten Welt der Fotografie?

Wir haben uns mit LomoAmigo Mirella Cardoso auf einen Kaffee getroffen und uns mit ihr über ihre Arbeit als junge Filmemacherin und Fotografin unterhalten. Ein Großteil ihrer Arbeit - in der Fotografie wie auch Malerei - besteht aus Selbstportraits und wir wollten genauer wissen, wie sie zu der Stärke und dem Selbstbewusstsein kam, ihre eigene sehr intime Wahrnehmung ihrer selbst mit der Welt zu teilen.

Mirella Cardoso

Wie bist du dazu gekommen, dich auf Selbstportraits zu konzentrieren und was fasziniert dich daran besonders?
Vor zwei Jahren habe ich an der New York University einen Schwarz-Weiß-Darkroom-Kurs belegt, für den ich mich auf die Dokumentarfotografie konzentrierte. Ich liebe die Dokumentarfotografie für ihre Art des Storytellings.
Als ich mich dann mit meiner Professorin über das Thema meiner Abschlussarbeit unterhalten habe, hat sie mich darauf angesprochen, dass ich vor allem Frauen auf eine sehr starke und intime Weise fotografiere. Sie hat vorgeschlagen, dass ich mich für die Arbeit auf Selbstportraits konzentriere. Zu Beginn hat mich dieser Vorschlag etwas verunsichert. Ich habe mir dann aber endlich eine Mittelformatkamera zugelegt, mit der ich schon lange fotografieren wollte und habe einfach damit begonnen, ein paar Wochen lang jeden Tag ein Foto von mir zu schießen.
Das ganze passierte zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt in meinem Leben. Ich hatte diesen Kurs gerade nach einer privaten Trennung begonnen, mit dem Gedanken endlich Zeit für Dinge zu finden, die mich schon lange interessierten. In einer unglücklichen Beziehung verliert man sich leider zu oft selbst, so kitschig das auch klingen mag, ist es leider wahr. Die Fotografie hat mir dabei geholfen, mich selbst zu finden. Ich habe durch sie mein Selbstbewusstsein entdeckt und seitdem nicht mehr damit aufgehört.

Ist dieses Selbstbewusstsein etwas, das immer weiter wächst, wenn du ein gutes Bild von dir betrachtest?
Schon allein der Prozess des Fotografierens und die Qualität der Fotos geben mir dieses Selbstbewusstsein. Natürlich stärkt einen auch der physische Anblick seiner selbst, das ist wie Wellness, aber was mich wirklich dazu ermutigt weiter zu fotografieren, ist die künstlerische Herausforderung.

Mirella Cardoso

Du hast gesagt, du hast mit der Fotografie zu einem Zeitpunkt begonnen, zu dem du dich nicht wirklich selbst kanntest. Auf welche Weise hat dir die Fotografie geholfen dich selbst kennen zu lernen?
Ja genau, ich bin damals gerade sehr verwirrt aus einer Beziehung gekommen. Ich wusste nicht genau welche Art der Kunst ich machen wollte und das Alleinsein hat mir die Möglichkeit eröffnet, richtig darüber nachzudenken. Plötzlich hatte ich viel Zeit und Freiheit. Ich habe eine kleine Auszeit vom Filmemachen genommen und mich mehr auf die Fotografie und Malerei konzentriert, Dinge die ich nur alleine machen konnte und die mir gezeigt haben, wer ich wirklich sein will.

Würdest du sagen, dass du mittels der Fotografie unterschiedliche Seiten deiner Persönlichkeit erforschst?
Definitiv, ja. Allerdings stelle mich meist als sehr ernsthafte Person dar, die ich auch bin, aber natürlich habe ich auch eine alberne Seite. Es ist allerdings sehr schwierig und komisch, sich selbst beim Blödsinn machen oder Spaß haben zu fotografieren (lacht). Also wahrscheinlich kommt diese Seite nicht wirklich in meinen Fotos hervor. Wer mich kennt, weiß, dass ich viel lache und mein Lachen im Umkreis von 10m erkennbar ist.

Du postest diene Arbeit auf Instagram und hast eine Menge Follower. Wie du schon sagtest, sind deine Fotos sehr intim. Nicht nur bist du selbst in den Fotos zu sehen, auch zeigst du damit diene ganz persönliche Perspektive auf dich selbst. Wie fühlst du dich dabei, diese Fotos in die Welt hinaus zu schicken?
Das kommt auf das Foto an. Mit den meisten Fotos, die ich veröffentliche, fühle ich mich sehr wohl. Es gibt aber natürlich auch Fotos, die nie jemand sehen wird, die nur für mich sind. Das Veröffentlichen ist also auf jeden Fall etwas, über das ich viel nachdenke, besonders wenn es um eine so öffentliche Platform wie Social Media geht.

Mirella Cardoso

Du arbeitest manchmal auch als Model. Hast du in der Welt vor der Kamera irgendwelche besonders guten oder schlechten Erfahrungen in Hinsicht auf dein Geschlecht gemacht?
Um ehrlich zu sein, habe ich nicht unglaublich viel Erfahrung als Model gemacht, was allerdings hauptsächlich daran liegt, dass ich mich in der Welt leider des öfteren sehr unwohl gefühlt habe, was mich daran hindert Leuten zu vertrauen, die mich bezüglich des Modelns kontaktieren, vor allem über Instagram. Instagram kann eine sehr wertvolle Quelle für Kontakte mit anderen Kreativen sein, aber wenn man eine Modelkarriere anstrebt, würde ich eher dazu raten sich an eine Agentur zu wenden oder sich für Tipps an andere Models zu wenden.

Ich will keineswegs behaupten, dass ich Fotografen generell für "creepy" halte. Ich spreche viel mehr von Männern, die die Fotografie für junge Frauen ausnutzen. Die meisten dieser Männer würde ich allerdings nicht Fotografen nennen, auch wenn sie sich als solche darstellen.
Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl berühmter Fotografen, die nun endlich Konsequenzen für den Missbrauch ihrer Macht erhalten. Man kann natürlich wundervolle Erfahrungen mit einem Fotografen machen, bei dem man sich wohl fühlt und der einen inspiriert aber die Tatsache, dass das eher die Ausnahme anstatt der Regel ist, zeigt, dass in dieser Branche etwas schief läuft.
Ich hatte in der Vergangenheit das Glück mit einigen tollen Menschen zusammen zu arbeiten und hoffe, dass noch viele folgen. Die Crew vom We Don’t Talk Anymore Muskvideo, das Casting-, Kreativ-, und Produktionstetam der Chanel x Vogue Boyfriend Watch Ad und die wundervollen Leute (Danke Brandon!) von Milk haben mein Leben bereichert. Die guten Erfahrungen erinnern mich daran, weshalb es sich weiterhin lohnt, diesen Weg zu gehen, deshalb will ich ihnen danken. Deshalb auch ein Shoutout für Cast und Crew meines eigenen Kurzfilms, die mir die nötige Stärke vor und hinter der Kamera gegeben haben.

Mirella Cardoso

Wie fühlst du dich als weibliche Künstlerin in dieser Welt? Ich habe des öfteren von Frauen gehört, dass sie von männlichen Kollegen nicht ernst genug genommen wurden. Hattest du je ähnliche Erfahrungen?
Definitv, aber das muss ich dir ja nicht erklären, dazu muss man sich nur die Fakten ansehen. Frauen in allen Branchen müssen so viel mehr um Möglichkeiten kämpfen, die Männern viel schneller beschert werden. Die physischen Attribute, mit denen wir geboren werden, legen unsere Umstände fest und werden dann von strukturellen Problemen kontrolliert. Das ist nicht fair aber es liegt in unseren Händen, das zu verändern und eine faire Repräsentation zu fördern.

Du machst so viele unterschiedliche Dinge. Du bist Filmemacherin, Fotografin und Malerin. Gibt es eine Sache, die du speziell auf professionellen Weg verfolgen willst?
Ich liebe es, all diese Dinge zu tun, aber was ich auf jeden Fall stärker verfolge, ist das Filmemachen. Es ist ein Medium, das mit so vielen anderen Menschen und Faktoren zusammenhängt, was es zu einer besonderen Herausforderung macht und gleichzeitig extrem bereichernd ist. Die meiste meiner anderen Arbeit mache ich alleine und auch das hat seine Vorteile und Reize aber es ist etwas ganz Besonderes, wenn man im Team mit anderen kreativen Menschen zusammenarbeiten kann.

Mirella Cardoso

Findest du, dass es eine Art "female Gaze" in der Fotografie gibt? Glaubst du, Menschen können erkennen, ob ein Mann oder eine Frau hinter der Kamera steht?
Ich weiß nicht so recht, das ist schwierig. Ich war gerade letzte Woche in vielen unterschiedlichen Fotoausstellungen und habe festgestellt, dass ich persönlich kein spezifisches Geschlecht in der Arbeit erkennen kann. Ich halte nicht viel davon, Kunst als "feminin" zu labeln, nur weil sie von einer Frau gemacht wurde. Kreativität hat kein Gender. Ich persönlich glaube, diese Art von Labels limitieren uns auf eine Art und denke, dass wir sie zur Zeit nur so stark wahrnehmen, weil man diesen Zugang zu Frauen in der kommerziellen Kunstwelt gerade erst entdeckt.
Damit will ich nicht sagen, dass es weder all-female Ausstellungen oder Produktionen geben sollte, noch, dass dieser Fokus auf kreative Frauen nicht gerechtfertigt ist - im Gegenteil: JA, macht das! Wir brauchen mehr dieser Repräsentationen, trotzdem bedeutet das nicht, dass unsere Arbeiten bereits dieses Label verdienen, bevor sie gesehen werden.
Zurück zur Frage, aber leicht ab vom Thema, will ich eine Sache hinzufügen: In Bezug auf die Darstellung von Frauen im Film und Fernsehen, ist es meist einfacher zu erkennen, wenn ein Mann etwas geschrieben hat im Gegensatz zu der Arbeit von Frauen.

Mirella Cardoso

Hast du irgendwelche Vorbilder, die dich und deine Arbeit inspirieren?
Ich glaube meine Fotos sind weniger von speziellen Fotografen inspiriert, als von Filmen, die ich bewundere. Agnes Varda ist wahrscheinlich meine größte Inspirationsquelle. Jacques Tati, Jean Luc-Godard, Éric Rohmer und Wes Anderson sind andere. Ich glaube, dass manche meiner liebsten Aspekte ihrer Filme sich in alle Medien, mit denen ich Arbeite übersetzt haben.

Hast du zum Abschluss irgendwelche Tipps für junge weibliche Künstlerinnen?
Lass dir von niemanden sagen, wozu du fähig bist. Bleib leidenschaftlich und hör niemals auf zu arbeiten.


Verfolge Mirella's Arbeit auf ihrem Instagram

geschrieben von birgitbuchart am 2018-03-26 in #Menschen #female-photographers #lomowomen

Ein Kommentar

  1. esavokshi
    esavokshi ·

    ich liebe sie ... ich bin selbst Fotografin und habe mich noch nicht gefunden ...

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