Lomoheimatkunde mit bloomchen

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Was ist Heimat? Weil das Wort Heimat für so viele Menschen so viele unterschiedliche Bedeutungen hat, haben wir Lomographen befragt, was Heimat für sie bedeutet. Dieses Mal erzählt uns bloomchen, was er mit diesem Begriff verbindet und erzählt von den Orten, an denen er “sein Glück sucht”.

Name: Toshi
LomoHome: bloomchen
Wurzeln: ein kleines Dorf in der Nähe von Reutlingen und Tübingen

Von: bloomchen

Heimat ist für dich…

… ein ganz und gar fürchterlicher Begriff, der fast immer unreflektiert verwendet wird und in seiner Geschichte bis heute immer auch missbraucht wird.
Eigentlich finde ich es nicht angemessen, an dieser Stelle nicht einfach nur über Fotografie zu schreiben. Nicht einfach was kurzweiliges zu schreiben. Aber zum Thema Heimat möchte ich doch einige Worte verlieren.

Ich konnte mich mit dem Begriff Heimat noch nie anfreunden. Mir ist selbstverständlich klar was damit gemeint ist, aber ich habe dieses Gefühl, das der Begriff transportiert bzw. transportieren soll, nicht.Vermutlich liegt es daran, dass ich als kleines Kind in ein kleines Dorf in Baden-Württemberg gezogen bin und ich die Einheimischen, die dort ihre Heimat haben, allein schon sprachlich überhaupt nicht verstehen konnte. Sie sprachen unglaubliches Schwäbisch und ich versuchte gerade richtig sprechen zu lernen und mich auszudrücken. Man mag meinen, dass dies einem Kind schnell gelingt, aber auch nach knapp 3 Jahren – mittlerweile war ich in der 1. Klasse – blieben mir einige Inhalte von Schulhofgesprächen ein Rätsel. Die gleiche Erfahrung hat meine Mutter 20 oder 25 Jahre vor mir gemacht. Ich hatte schlichtweg die Vokabeln nicht drauf. Hinzu kam, dass ich – und das mag nun sehr sehr arrogant klingen – teilweise auch nicht mit der Mentalität der Leute zurecht kam. Das wurde mir in vielen Situationen meines Lebens dort immer wieder klar. Ich konnte nicht wirklich eine emotionale Bindung aufbauen.

Dies ist jedoch die reflektierte retrospektive Sichtweise persönlicher Eindrücke. Wie der Zufall es so will beschäftigte ich mich in meinem Studium mit (Kriegs-)Propaganda in Kinofilmen. Seit dieser Zeit sträuben sich mir die Nackenhaare noch mehr als ohnehin beim Begriff Heimat.

Im Dritten Reich wurde der Begriff Heimat instrumentalisiert und daraus ein sehr einfaches Prinzip gestrickt, durch Emotionalisierung bestimmte Inhalte zu transportieren um die Zuschauer dadurch zu manipulieren und die Kriegswilligkeit der Bevölkerung zu stärken. Das erreichte man hauptsächlich durch heimatbezogene Inhalte, sodass der beste Kriegsfilm oder nationalistische Film seine propagandistische Wirkung überhaupt nicht durch Darstellung einer kriegerischen Handlung erzielte, sondern lediglich an das Heimatgefühl der Zuschauer appellieren brauchte. Er musste zeigen, dass es etwas zu bewahren oder zu beschützen gibt, das man sowohl an einem anderen Ort, in einem anderen Umfeld nicht haben kann. Das funktionierte leider – aber nicht nur – vortrefflich bei Menschen, deren Horizont auch in ihrem Bewegungsradius ziemlich beschränkt war und die daher nichts anderes kannten. Dies hat eine psychologische Komponente, denn je länger man an einem Ort verweilt und positive Erfahrungen macht, umso mehr manifestiert sich ein Heimatgefühl. Im Film hat man dafür gerne auch historische Ereignisse genommen und diese in ihrem Verlauf „positiv“ umgeschrieben um zu emotionalisieren. Das nahm gegen Ende des Krieges absurde Ausmaße an, als man z. B. von der Ostfront mehrere Tausend Soldaten abzog, damit diese als Komparsen in einem gigantischen Kinofilmsetting eines sogenannten Durchhaltefilms Soldaten einer historischen Schlacht spielten. Der reale Krieg war unwichtig geworden – hier diente nicht mehr das Kino dem Militär, sondern das Militär dem Kino.

Ebenso kämpfte man im Dritten Reich auch an der „Heimatfront“ gegen diejenigen Menschen, die anderer Meinung waren. Und auch heute wird der Begriff missbraucht und instrumentalisiert um bestimmte Einschränkungen von Bürgerrechten zu rechtfertigen wie z. B. dem U.S. Department of Homeland Security oder bestimmte verbrecherische Taten zu rechtfertigen, wie z. B. der rechtsextreme Heimatschutz in Deutschland.

Der Begriff wird benutzt um sich abzugrenzen und andere auszugrenzen. Damit spricht man auch Menschen, die nicht ursprünglich aus einem bestimmten Land, einer bestimmten Region oder einer bestimmten Stadt kommen, ab, dass sie heimatliche Gefühle – also eine emotionale Bindung – dazu aufbauen können. Dies ist ziemlich absurd, denn im Prinzip ist alles was zu einem Heimatgefühl beiträgt austauschbar. Zumal der Begriff Heimat damit an den Zufall gekoppelt ist, wo man geboren wird und wofür man nichts kann. Es gibt, wie in meinem Fall Bedingungen, unter denen man keine heimatlichen Gefühle entwickelt oder entwickeln kann bzw. diese emotionale Bindung kann auch nachlassen und man kann ja auch an einem anderen Ort „sein Glück finden“.

Ich für mich verbinde mit dem Begriff Heimat nicht per se positive Emotionen und distanziere mich vom emotionalen Gebrauch und was in diesem Namen daraus gemacht wird. Die Diskussion ist ja leider wieder aktuell.

Wenn ich nun aber für mich die konkreten Anforderungen – ein Ort an dem ich mehrmals war und positive Erlebnisse hatte – auf eine Region, Gegend oder Stadt übertrage, dann gibt es da vier Orte, für die dies gilt. Dazu gehört mit dem nötigen Abstand, den ich heute habe, das kleine Dorf in Baden-Württemberg. Ebenso das kleine Dorf Etoile-sur-Rhône in Südfrankreich, in dem ich später alleine, ohne meine Eltern die Sommer in einer befreundeten französischen Familie verbrachte und auch ein bisschen als französischer Teenager aufgewachsen bin – wenn auch nur für ein paar Wochen jedes Jahr.

Selbstverständlich noch Berlin, wo ich schon beinahe solange wohne wie in dem kleinen Dorf in Süddeutschland. Und auch Barcelona, wo ich schon so oft war und wo es mich immer wieder hinzieht, weckt Wohlfühlerlebnisse.

Was liebst und/oder hasst du an deiner Heimat?

Was ich nicht mag an der Gegend in der ich aufgewachsen bin, ist die ordinäre Sprache und teilweise sehr ruppige Art einiger Menschen. Gleichwohl gibt es dort selbstverständlich Menschen, die ausgesprochen herzlich sind. Was ich an der Region sehr gerne mag, ist die ist tatsächlich nicht austauschbar, denn es sind die persönlichen Bindungen und das große Netzwerk das dort heute unter meinen ehemaligen Mitschülern über Klassenstufen hinweg besteht und die Selbstverständlichkeit mit der ich herzlich aufgenommen werde, wenn ich mal zufällig dort bin und zum Hobbykick fahre oder beim Grillen vorbeischaue.

An dem kleinen Dorf in Frankreich schätze ich überaus die Lebensart der Menschen und die vielen vielen Erfahrungen die ich gemacht habe, nicht alles so ernst zu nehmen. Und ich mag dort, wie auch in Barcelona, die Küche. Berlin ist auch reich an Dingen, die man toll finden kann und Dinge, die einem schnell auf den Keks gehen. Das können auch kleine Belanglosigkeiten sein. Ich hasse es wenn die Leute ihre Bierflaschen auf den Radwegen kaputtwerfen. Ich hasse Hundebesitzer, die ihre Viecher überall hin scheißen und hin pissen lassen. Egal ob Hauseingang, Spielplatz, Spielwiese, Radweg, Fahrradanhänger etc.

Von: bloomchen

Ich hasse es, dass es hier kaum noch richtige Bäckereien gibt. Dafür liebe ich, dass mir die Stadt fast alles bietet, worauf ich spontan Lust bekomme: kulinarisch und kulturell. Allerdings nehme ich dies viel zu selten in Anspruch.

Dein absoluter Lieblingsplatz den außer dir niemand kennt (bis jetzt…)?

Na ja, mein bester Freund aus Kindergartenzeiten hat bis vor Kurzem in der Nachbarstadt meines „Heimatdorfes“ in einer Mietwohnung gewohnt und hinter dem Haus ging es steil eine Obstwiese hinauf. Und wenn man sich nach nur 60 Metern umdreht hat man einen fantastischen Blick über das Neckartal bis zur schwäbischen Alb und in einer klaren Sternennacht kann man an diesem Ort mit einigen Flaschen Bier die Nacht verbringen und großartige Gespräche führen, vielleicht romantische Momente erleben, die Sterne beobachten oder was auch immer. Ein unscheinbarer aber fantastischer Ort.

Bei Tag.
Und bei Nacht.

In Berlin mag ich sehr die Aussicht vom einem Balkon im 14. Stock eines Hauses in Kreuzberg. Das habe ich zufällig entdeckt und der Zugang ist immer offen. Den Ort bzw. die Aussicht habe ich dieses Jahr einer meiner Lieblingslomographinnen marta1901 gezeigt.

Blick vom 14. Stock.

Was sollte man mal getan haben, oder wo sollte man gewesen sein?

Man sollte in dem kleinen Dorf in Süddeutschland im späten Frühling oder Sommer am Abend erhöhte Orte aufsuchen, weil es dort wirklich tolle Sonnenuntergänge und Farben zu bestaunen gibt.

Von: bloomchen

Im französischen Dorf bzw. der näheren Umgebung – sicherlich nicht typisch für die Region – sollte man sich unbedingt schlau machen wo ein richtiger Bäcker ist. Und dann entweder den Wecker stellen, durchfeiern oder wenn man so gegen 4 oder 5 pinkeln muss, aufstehen, losgehen oder -fahren, an die Tür der Backstube klopfen und frische Croissants kaufen und vor Ort verspeisen. Da flimmert es auf der Zunge. Und, ganz wichtig, man sollte einmal in einem Café auf dem Dorfplatz einen Nachmittag verbringen und das Lebensgefühl aufsaugen. Ich fand das Lebensgefühl immer fantastisch. Z. B. nach dem Mittagessen mit einem Kaffee im Garten zu sitzen und wer vorbeikommt hält an und quatscht mit einem. Manchmal warfen die Leute dann auch ihre gesamte Tagesplanung über den Haufen, setzten sich zu einem und tranken einen Kaffee mit, blieben sitzen bis zum Abend, grillten dann mit einem, blieben sitzen und tranken noch ein Glas Rotwein und verabschieden sich dann nach Mitternacht. Keine Ahnung, ob man das heute noch so erleben kann, aber ich habe das Ende der 80er und Anfang 90er so erlebt und ich habe heute noch ein Lächeln im Gesicht, wenn ich daran denke.

In Barcelona sollte man unbedingt einmal im Stadtviertel El Born auf der Straße Carrer del Comerc in den kleinen unscheinbaren Laden direkt gegenüber der historischen Markthalle gehen, der dort Gewürze und Lebensmittel verkauft. Wenn man in diesem kleinen Laden steht eröffnet sich einem plötzlich die Welt der Biodiversität und man kann schwarzen und roten Reis von hier und dort kaufen, Gewürze, Hülsenfrüchte und alles was man sich so vorstellen kann, woraus man fantastische Gerichte kochen kann – das alles aus großen Leinensäcken wie vor vielen Jahren.

Wovon muss man auf jeden Fall ein Bild gemacht haben?

Das ist ja immer so eine Sache mit den Fotolocations. So ein Spaziergang durch ein kleines Dorf liefert jedem anderen Besucher vermutlich viel mehr Motive als mir. Ich kenne da jede Ecke und schaue vermutlich darum gar nicht mehr so genau hin. Aber ich habe ja Anfang dieses Jahres aus traurigen Gründen einige Wochen dort verbracht und habe zum Abschalten und Nachdenken viele Orte und Ausflugsziele aus meiner Kindheit besucht und habe hier auch die Bilder hochgeladen.

Von: bloomchen

Tübingen ist sicherlich eine Stadt die man unter die Lupe nehmen sollte. Aber auch die schwäbische Alb bietet wirklich ziemlich viel. Im kleinen Dorf in Frankreich ist es ähnlich. Einfach sich treiben lassen und schauen was so kommt. In Barcelona zieht es mich nun immer zu diesem einen Hauseingang.

Von: bloomchen

Wo sollte ein aufregender/interessanter/entspannter LomoWalk beginnen und wo aufhören?

Na ja, auf dem Land braucht man ja immer auch ein Auto um von A nach B zu kommen. Wenn ich das so als Tour planen würde, dann müsste es eigentlich sehr früh morgens im Herbst oder Frühling in Tübingen am Neckar losgehen. Wenn noch so ein bisschen Nebel über dem Wasser ist. Nicht weit von Tübingen im Schönbuch liegt ein kleines Moor, das ich selbst erst dieses Jahr entdeckt habe – das wäre das zweite Ziel.

Von: bloomchen

Danach würde ich Landschaftsaufnahmen machen oder zum Schloß Solitude bei Stuttgart fahren. Am Abend dann, wenn es dunkel ist sollte man auf jeden Fall die Wiese mit den Obstbäumen aufsuchen.

Von: bloomchen

Hungrig und durstig nach dem LomoWalk… Wohin sollte man am besten gehen?

Das ist ein wirklich weites Feld. Im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin gibt es nichts für danach außer die Pizza aus dem Sportheim. Man sollte sich lieber vorher zur Stärkung beim fantastischen Landmetzger im Dorf ein Leberkäsweckle – kurz LKW – holen. Wirklich unschlagbar. Für danach: In Reutlingen gibt es einen Imbiss der sich Udo’s nennt, wo man mit die drittbeste Currywurst der Republik bekommt. In Süddeutschland gibt es zur Currywurst kein Ketchup mit Currypulver, sondern eine warme Ketchup-Soße mit Curry und einigen anderen Gewürzen. Muss man probiert haben. Ansonsten kenne ich mich in der Region was Restaurants angeht überhaupt nicht aus und könnte da nicht einmal etwas vom Hören empfehlen.

In Frankreich sollte man bei der Mutter meines Freundes Cous-Cous und Salat essen – ich koche viel und gerne und gut und ich habe diesen Salat-Geschmack nie hinbekommen und frage mich noch immer ob es am Olivenöl lag oder an was. Kann man nicht beschreiben, muss man gegessen haben.
In Barcelona gibt es kulinarisch vieles was man empfehlen kann. Eine baskische Tapas-Bar oder argentinische Pizza – beides in El Born. Die Pizza ist ein Knaller und im Original sogar mit Faina (eine Art Pfannkuchen) obendrauf belegt und da drauf kommen noch Pepperonis, wie mir eine ältere argentinische Dame erklärte und zeigte.

Von: bloomchen

Dann richtig gute Burger essen in einem der zahlreichen außerordentlich guten Burgerrestaurants. Oder kulinarisch hochwertig in Raval katalanische Paella essen oder im Restaurant Lluerna das beste Essen serviert bekommen, das ich je gegessen habe. Ich mache in Barcelona seit einigen Jahren Restaurant-Hopping und könnte ziemlich viel aufzählen. Und einen Snack bei Conesa am Rathaus – das hat bei mir und einem Kumpel bereits langjährige Tradition.

Was sollte man unbedingt aus deiner Heimat mitbringen?

Schnaps vom Dorf! Es gibt zwei Dorfbrenner und mittlerweile kann ich Bestellungen entgegen nehmen von Freunden und Familie, wenn die hören ich fahre mal wieder hin. Für die Fahrt nach Hause als Reiseproviant ein Leberkäsweckle. Aus Frankreich sollte man hoffentlich so ein inneres Gefühl von Lebensfreude oder Zufriedenheit mitbringen – schwer zu beschreiben. Und viele Fotos um die Erinnerungen später nochmal aufleben lassen zu können. Das gilt selbstverständlich für alle Orte.

Oh je, war ich wieder ausschweifend. Danke fürs Lesen.


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geschrieben von dopa am 2016-02-26 in #Menschen #Orte #lifestyle #location #lokoheimatkunde #blochen

5 Kommentare

  1. bloomchen
    bloomchen ·

    @dopa Danke für dein Engagement hier und dafür, dass du es dann doch in ganzer Länge veröffentlicht hast.

  2. dopa
    dopa ·

    sehr gerne @bloomchen, vielen Dank noch einmal

  3. pearlgirl77
    pearlgirl77 ·

    @bloomchen schön zu lesen und tolle Bilder :) schade, daß ich die Tipps zum Essen gehen in Barcelona jetzt erst lese und nicht schon vor einigen Jahren ;)

  4. bloomchen
    bloomchen ·

    @pearlgirl77 Wenn du mal wieder hinkommst kannst du dich ja melden. Das dumme an den guten Sachen dort ist nur, dass die so gut sind, dass man da immer wieder zurückkehrt. Aber fürs nächste Mal habe ich schon 2 Läden fest Visier, die ich noch nicht kenne bzw. an den einen Laden kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Da war ich von knapp 12 oder 13 Jahren einmal.

  5. pearlgirl77
    pearlgirl77 ·

    @bloomchen ja das mach ich auch wenn das wohl erst mal nix wird.. hab noch so viele städte in europa die ich sehen möchte.. ;) und verständlich, daß man doch immer zum gleichen geht.. ich möchte in münchen auch jedesmal ins gleiche cafe wenn ich dann mal in münchen bin.. der mensch das gewohnheitstier ;)

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