Lomography fragt: Ist es in Ordnung Obdachlose zu fotografieren?

“Ist es in Ordnung Obdachlose zu fotografieren?” ist eine der heißdiskutiertesten Debatten in Bezug auf Street Photography. Dazu gibt es zwei konträre Positionen: die, die davon ausgeht, dass es das ist und die, die das Gegenteil aussagt. Für diejenigen, die es tun bedeutet das eine Dokumentation der Welt, die uns umgibt. Für diejenigen, die es ablehnen bedeutet es eine Form der Ausnutzung.

Für diese Ausgabe unserer neuen Community-Meinungs-Serie haben wir uns an sechs Lomographen aus unterschiedlichen Teilen der Erde gewendet. Alle von ihnen lieben Street Photography. Sie haben persönliche Einblicke gewährt und auf Grundlage ihrer Antworten lässt sich letztendlich sicher sagen, dass alles darauf hinausläuft, dass der Beweggrund, der hinter der Fotografie steht das Dokumentieren von benachteiligten Mitgliedern der Gesellschaft ist.

@sirio174, Italien

Von: sirio174

Die Antwort ist nicht einfach. Das ist meine Meinung. In erster Linie mag ich es nicht obdachlose und unglückliche Menschen zu fotografieren. Tatsächlich habe ich sehr wenige Fotos, die diese Menschen zeigen. Bei den wenigen Ausnahmen zeige ich niemals ihre Gesichter. So zum Beispiel hier und hier. Diese Leute verdienen Respekt.

Weiterhin gilt das Selbe auch für bettelnde Sinti und Roma. Diese Menschen haben schon genug Verfolgung erlebt und auch sie verdienen Respekt. So habe ich ein paar Fotos dieser Frau aufgenommen, auf denen man niemals ihr Gesicht erkennt. Ich sehe das allerdings anders bei Sinti und Roma, die Straßenmusikanten sind. Sie arbeiten als Straßenkünstler und ihre Gesichter zu zeigen verletzt ihre Würde nicht. Es ist eine öffentliche Tätigkeit, die die Straßen der Stadt mit ihrer Musik begeistert.

Nun, eine andere Meinung habe ich jedoch zu professionell Arbeitenden. Wenn ein Journalist das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit steigern will denke ich, dass er ihre Portraits verwenden darf, allerdings unter zwei Voraussetzungen: (1) nur mit Zustimmung des Menschen und (2) in einer Haltung, die die Würde der Männer und Frauen hervorhebt. Ich sehe keine Notwendigkeit Fotos von Gesichtern von Menschen in Notsituationen zu machen (zum Beispiel betrunken oder unter dem Einfluss von Drogen).

@robertofiuza, Portugal

Von: robertofiuza

Ich denke, dass es in Ordnung ist Obdachlose zu fotografieren, wenn es richtig gemacht wird. Davon abgesehen habe ich noch nie selbst eine obdachlose Person fotografiert. Ein Bild zu machen von jemandem der bettelt oder schläft erscheint mir wie das Ausnützen einer bedauernswerten Situation um ein leichtes (und uninteressantes) Foto zu machen. Wenn du an einem Projekt arbeitest oder versuchst Bewusstsein für ein Problem in deiner Stadt zu schaffen könnte diese Art von Bildern aber vielleicht akzeptabel sein. Und auch wenn du ein perfektes Bild vor dir hast (netter Rahmen, gutes Licht, coole Interaktion) sollte dich die Anwesenheit eines obdachlosen Menschen nicht davon abhalten das Foto aufzunehmen.

@koduckgirl, USA

Von: koduckgirl

Das ist definitiv ein interessantes und heikles Thema. Ich denke das gestaltet sich ähnlich wie das Fotografieren von Kindern, die nicht zur eigenen Familie gehören, von sinnlichen und künstlerischen nackten Menschen – im Gegensatz zu pornografischen Aufnahmen und von Unfällen in Bezug auf Gaffer und in Abgrenzung zu Protokollanten von einem tragischen Geschehnis.

Ich denke, dass man beim Fotografieren von Obdachlosen aufmerksam bezüglich ihrer individuellen Situationen sein muss und sich in sie hineinversetzt in dem Bewusstsein, dass wir alle auf einer Augenhöhe sind. Normalerweise fotografiere ich keine Obdachlosen, es sei denn ich kann mit der Person kommunizieren, sie nach ihrer Erlaubnis fragen und ihr entweder ein gutes Gespräch und/oder etwas Geld anbieten bzw. etwas von ihren Waren kaufen. Wenn ich dies nicht tue ist das meistens weil die Person schläft oder nicht mitbekommt, dass sie Teil meiner Aufnahme ist, die eine ergreifende Situation oder ein größeres Szenario im des Stadtlebens dokumentiert.

Normalerweise fotografiere ich aber auch keine Obdachlosen, weil ich mit ihnen mitfühlen kann und doch ihr Problem nicht lösen kann. Ich fühle, dass es grausam ist einfach Bilder von ihnen zu machen, wie ein Tourist, und dann davon zu laufen mit meinem Ergebnis, aber ohne eine bessere Aussage zu machen als “Ich sehe dich, ich sehe dich wirklich, aber jetzt gehe ich wieder davon und ziehe auf deine Kosten Gewinn aus dem Foto.”

@arguspaul, Südkorea

Zusammenhänge. Ich finde in der Fotografie dreht sich alles um Zusammenhänge. Menschen, die obdachlos sind, sind eben dies: Menschen. Und wenn du deine Kamera auf das Leid anderer Menschen richtest sollte es dafür einen guten Grund geben.

Dieses Traurige festzuhalten ist, finde ich, nur gerechtfertigt, wenn es eine persönliche Beziehung zwischen dem Fotografen und den Menschen gibt, die Geschichten erzählen (wie Mary Ellen Mark) oder wenn es eine aufrichtige Aufnahme ist, die zu Verständnis oder sozialem Wandel inspirieren kann. Ich fotografiere sehr selten Obdachlose und wenn, dann fühle ich, dass es diese Bilder brauchen, als kritische Gegenüberstellung zur städtischen Landschaft oder den Passanten.

@adi_totp, Indonesien

Von: adi_totp

Meiner Meinung nach ist das in Ordnung. Warum? Ich denke es liegt an uns als Fotografen / Lomographen ein oder zwei obdachlose Menschen auf den Straßen zu fotografieren. Ich meine warum fotografieren wir sie primär? Einfach um ein Foto von ihnen zu machen? Um die Realität zu dokumentieren? Um zu zeigen, dass es nach wie vor Obdachlose auf den Straßen gibt? Oder einfach aus Spaß daran sie zu fotografieren?

Meiner Meinung nach müssen wir uns als Fotografen fragen: “Warum fotografieren wir die Obdachlosen?” Ich sehe mich gerne selbst als ein dokumentierender Fotograf, der durch die Stadt läuft und das Geschehende festhält. Ich dokumentiere Dinge, die ich sehe und die ich fühle. Vielleicht werde ich auch eines Tages die Wohnungslosen in den Straßen meiner Stadt Bandung fotografieren. Warum? Um den Menschen in Bandung zu zeigen, dass es da draußen unglückliche Menschen gibt und dass wir Dinge nicht mehr einfach als gegeben hinnehmen dürfen.

Ich mache Fotos, um mich selbst an Dinge zu erinnern. Vielleicht kann ein Foto eines obdachlosen Menschen mich realisieren lassen, dass wir ihnen helfen müssen und dass wir dankbar für die Dinge sein müssen, die wir haben. Das hängt aber einfach von uns selbst ab. Du willst es aus Spaß einfangen? Für deine eigene Dokumentation des Lebens in Fotos?

Wir müssen realisieren, dass die Gründe für das Fotografieren von Dingen eventuell von Menschen erfragt werden. Vielleicht werden wir irgendwann mal eine Ausstellung haben in der es ein Portrait eines Obdachlosen gibt und ein Besucher könnte dich fragen “Warum hast du die Obdachlosen fotografiert?” Deshalb müssen wir darauf vorbereitet sein zu antworten. Ist das Kunst? Dokumentation? Wir müssen uns dem bewusst sein und Verantwortung tragen.

Ich fotografiere nun schon seit Jahren und was ich von den Straßen gelernt habe ist, dass es bestimmte Benimmregeln gibt. Fotografieren und Wegrennen? Ja, das können wir von Zeit zu Zeit mal machen, aber macht uns das zufrieden? Einen zufälligen Fremden auf der Straße fotografieren und dann einfach weitergehen? Oder müssen wir erst um Erlaubnis bitten? Es gibt einen gewissen Anspruch, der es erfordert in Interaktion mit den Fremden auf der Straße zu treten. Ich spreche normalerweise zunächst mit ihnen und frage “Kann ich dich fotografieren? Für meine eigene Dokumentation, ich bin kein Fotojournalist…”

Zuerst war ich ein bisschen nervös dabei, aber mit der Zeit wurde ich mutiger darin Menschen auf der Straße anzusprechen. Natürlich gibt es immer wieder die, die sich genervt fühlen, weil wir sie willkürlich fotografieren, aber dann gibt es auch die, denen unsere Arbeit nichts ausmacht. Es hängt sehr von uns selbst ab, wie wir auf den Straßen unterwegs sind. Am Ende müssen wir uns jedoch erneut fragen warum wir Obdachlose fotografieren. Ich lasse euch alle darüber nachdenken.

Wie steht es mit euch? Denkt ihr, dass es in Ordnung ist diese Menschen zu fotografieren? Warum oder warum nicht? Haltet das Gespräch am laufen indem ihr eure Gedanken im Kommentarbereich weiter unten mit uns teilt.


Lomography fragt ist eine neue monatliche Serie des Lomography Magazins, in der wir der Community Fotografie-relevante Themen präsentieren. Nicht mit dem Ziel gegensätzliche Meinungen gegeneinander auszuspielen, sondern um eine erkenntnisreiche Diskussion innerhalb der Community anzustoßen.

geschrieben von Julien Matabuena am 2015-10-15 in #News #lomography-fragt
übersetzt von annelena1108

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