Die Welt von Herrn Willie: Der Amazonas

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Es war der Amazonas, nach dem ich mich schon mein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Und als es letztendlich ein fester Deal war, dass ich mit zwei meiner besten Freunde zum Copa do Mundo (Weltmeisterschaft) nach Brasilien reisen würde, mussten wir unser Abenteuer einfach am Amazonas starten. Ich hatte bereits Wissen über diesen magischen Ort tief im Regenwald. Wir hatten dort eine Hütte, die von ortsansässigen Menschen mit indigenem Hintergrund betrieben wurde, Holzhäuser, die auf dem Wasser lagen und nur wenige Touristen. Es war Ökotourismus, wie er sein sollte, um einen der eindrucksvollsten Orte, die ich je gesehen habe, zu bewahren und zu feiern.

Der Amazonas ist der längste Fluss auf dem Planeten mit über 200,000 Kubikmetern Wasser. Der Fluss setzt sich aus hunderten von Quellen zusammen, die ihn nähren, wie der Regen des Dschungels. Weil das Gebiet, das sich an den Amazonas anschließt so gewaltig ist – fast die Hälfte des Kontinents – ist er ebenfalls Namensgeber des größten Regenwaldes von Südamerika. Der tropische Dschungel berührt nicht nur Brasilien, sondern auch Bolivien, Kolumbien, Peru und Guyana.

Der Amazonas ist viel mehr Mythos als ein wissenschaftliches Phänomen. Er wird als Schönheit und Biest gleichzeitig angesehen und hat die Vorstellungskraft von Menschen über Jahrhunderte hinweg angeheizt. Man sollte dort nicht wild umherreisen – einmal um den Wald zu schützen und dann um dich selbst zu schützen, weil er voll von Gefahren steckt. Meine guten Freunde Andi / @magicbus, Bruna / @bruna_ und ich machten uns vor sechs Jahren auf den Weg, um diesen Mythos zu sehen und pfiffen ein Liebeslied für ihn. Sie besuchten eine Ökotourismus-Hütte und ich wusste, dass ich dort auch hingehen wollte.

Pousada Uacari war der Name des Ortes im entlegenen Reserva Mamirauá. Es ist so abgelegen, dass du es nicht auf Google Maps eingezeichnet finden wirst.Ich vermute sie bräuchten dort eher Google Boats als für Autos den ganzen Planeten aufzuzeichnen. Um zum Reserva Mamirauá zu kommen musst du dir ein Lunchpaket vorbereiten und dich auf einen langen Ausflug vorbereiten. Da es unser bevorzugter und erster Stopp in Brasilien war gestaltete sich unsere Route wie folgt:

Von Hamburg flogen wir über Lissabon nach Manaus, der größten Stadt am Amazonas. Von dort aus nahmen wir ein kleines Flugzeug nach Téfe, einer kleinen Stadt im westlichen Amazonas-Gebiet. Das Ende der Zivilisation. Fähren pendeln von dort aus nach Manaus und wieder zurück und bis zu den östlichen Rändern von Brasilien. Wir besuchten den Markt von Téfe und dort klingt immer noch das Gefühl von El Dorado nach. Dort waren Pioniere und Ausgestoßene, die ihren großen Ausbruch wagten und ein neues abenteuerliches Leben beginnen wollten. Téferos am Rande der Welt – ich stelle mir vor, dass es hier in den Tagen des Gold- und Kautschuk-Rausches sehr aufregend war, als die Menschen vom großen Glück träumten. Von dort aus wurden wir von den Helfern der NGO aufgesammelt, die die Hütte betreiben und machten uns auf einen zweistündigen Trip zu unserem Zielort. Ein paar Delfine tanzten um unser Boot herum. Es war beeindruckend. So viel Wasser, so viel Sonne und so entlegen. Der Zugang ist nicht nur durch die Entfernung beschränkt, sondern auch durch das System. Es gibt dort neun kleine auf dem Wasser liegende Häuser, die zum Pousada gehören, was Gästehaus bedeutet und sie sind konstant belegt. Es gibt Pakete von drei und fünf Tagen zu sehr akzeptablen Preisen, wie ich finde. Darüber hinaus sind alle Mahlzeiten mit eingeschlossen und sie sind wirklich gut.

Das Pousada Uacari ist auf verschiedene Arten bemerkenswert. Es ist an eine wissenschaftliche Station angeschlossen und soll regelmäßig Ergebnisse von Tests und Beobachtungen liefern. Es soll aber auch die lokale Gemeinschaft ermutigen den Wert ihres natürlichen Glücks zu sehen. Das kommt natürlich nicht allein dadurch, dass Menschen aus der ganzen Welt vorbeikommen und wertschätzen, was sie erleben, sondern auch durch die Schaffung von Arbeitsplätzen. Viele Familien profitieren vom Ökotourismus, da sie als Fremdenführer, Köche oder Dienstmädchen im Pousada arbeiten. Darüber hinaus gibt es Freiwillige aus unterschiedlichen Universitäten und NGOs aus ganz Brasilien, die für einige Wochen oder Monate kommen, um das Projekt zu unterstützen. All diese Leute verbreiten auf der Welt das Wunder des Amazonas.

Es gibt zwei Arten von Flussdelfinen im Amazonas. Zu einer dieser Arten gehört ein kurioses Geschöpf, der Boto, ein ziemlich gigantischer pinker Delfin, der zwar blind, aber mit unbeschreiblich guten Sonar-Fähigkeiten ausgestattet ist. Bisher gibt es noch nicht sehr viel Wissen über ihn, deshalb beobachten Freiwillige und Wissenschaftler seine Spuren im Wasser, wo er hinzieht, wie er sich vermehrt und wie viele es von ihm gibt. Seine Art ist gefährdet von der Fischerei und den Menschen, die ihm den Lebensraum nehmen. Ich bin froh, dass ich etwas über ihn lernen durfte.

Als wir ankamen hatten wir das Privileg direkt mit Kanus in den Wald fahren zu dürfen. Jeder wurde mit einem lokalen Guide zusammengetan, bekam eine Schwimmweste und wir begaben uns auf den Fluss. Es ist eine Empfindung, die schwer zu beschreiben ist, weil sie mit nichts zu vergleichen ist. Erst bist du auf dem Fluss, dann gleitest du in den Wald, fünf Meter über dem Grund. Der Wasserstand hängt dabei immer von der Jahreszeit und dem Regen ab. Es ist wie in Venedig, nur ohne Häuser und Menschen. Aber alles fühlt sich natürlich an, als ob Menschen sich schon immer auf diese Weise bewegen sollten. Wir hatten unglaubliches Glück mit dem Wetter, es regnete lediglich einmal während unseres Aufenthalts und jeden Tag paddelten wir in den Dschungel, der nicht ein einziges Mal seine Magie für uns verlor.

Ich verliebte mich nahezu in meinen Guide. Braga war der älteste unter den Guides – der ruhigste und meiner Meinung nach der netteste von allen. Genau das Gegenteil von mir selbst. Das Prozedere war wie ein Ritual: Wir paddelten in den Dschungel, sanft, leise und eins mit den Elementen. Braga hörte dann ein Geräusch oder Lärm und steuerte uns behutsam dort hin. Dann zeigte er in eine Richtung und erzählte mir eine Geschichte auf Portugiesisch. Manchmal zeigte er mir ein Foto von einem Vogel in seinem kleinen wasserfesten Buch. Manchmal kamen wir zu einem gigantischen Baum und er erzählte, dass dessen Rinde, Samen oder Früchte gut gegen dies und das seien. Ich glaube ich verstand ihn gut und selbst wenn ich mir das meiste, was er sagte, zusammenreimte mochte ich die Geschichten in meinem Kopf.

Wir wurden besonders durch eine Begebenheit verbunden. Ein übermütiger Affe genoss unsere Gesellschaft auch. Aus diesem Grunde warf er einen Haufen seines eigenen Produktes – 100% Affen-Kacke – auf unser Kanu. Genau in die Mitte. Guides, die zeugen dieser Show wurden kicherten. Affen – neben den farbenfrohen Vögeln, Faultieren und Kaimanen – waren die Geschöpfe, die wir am meisten zu hören und zu sehen bekamen. So viele verschiedene Arten: freche Kapuzineräffchen und Brüllaffen. Ich schwöre bei Gott, sie klingen wie Waschmaschinen auf Ecstasy. Wir konnten sie sehr gut sehen, wie sie von Baum zu Baum sprangen, so weit oben in den Kronen des Amazonas.

Aber da gibt es auch noch diesen seltsamen Uakari-Affen, der der Hütte ihren Namen gab. Er ist ein Affe mit einem roten Gesicht und weißem Fell, der nur wirklich in diesem Gebiet beheimatet ist. Er sieht so menschlich aus, es ist fast gruselig. Ich denke es könnte eine Mission sein, einen japanischen Horrorfilm über den Uacari zu drehen. Ich würde ihn mir anschauen, auch wenn das bedeuten würde einen Haufen Affendreck auf mein Kanu zu bekommen.

Einer der Land-Ausflüge ging in ein benachbartes Wasserdorf. Wie in Venedig haben sich die Menschen immer am Rande des Wassers niedergelassen. Ihre Häuser liegen auf schwimmenden Plattformen, sodass die Hütten nicht einmal bei Hochwasser überflutet werden können. Schüler aus der Umgebung kommen dorthin in eine Schule auf dem Wasser. Es gibt außerdem Geschäfte, die wichtige Punkte des Austauschs sind. Aber natürlich musst du, je nachdem wie weit dein Haus von dem Dorf entfernt ist, lange Wege in Kauf nehmen um dich mit Waren auszustatten. Es gibt reichlich Fisch und Früchte von den Bäumen. Wir gingen in einen süßen Shop, in dem lokale Künstler Werke verkauften, die wie aus Holz, Samen oder Fischgräten gefertigt hatten – sehr originell und eine gute Einkommensquelle.

Ah, da ist noch eine Sache, die du als zukünftiger Bewohner eines schwimmenden Hauses bedenken musst. Die Bootsmänner hatten Haustiere wie Katzen und Hunde. Sie hatten sogar Hühner in einem schwimmenden Schuppen. Dann kamen freche Kaimane und aßen sie alle auf. Eine andere interessante Geschichte ist, dass die Vorfahren der momentanen Bevölkerung ihre Verstorbenen an oder in Bäumen beerdigten. Diese Tradition ist buchstäblich gestorben. Heute werden die Körper nach Téfe oder größere Siedlungen auf dem Land gebracht.

Im Dschungel zu leben ist wie auf einem Boot zu leben. Du fixierst dein Sein sehr stark auf das Licht. Das bedeutet, dass du mit der frühen Sonne aufstehst und alles langsamer wird, wenn die Sonne unter geht. Ein großer Unterschied zu unserem städtischen Leben. Es gibt Strom und einen Diesel-betriebenen Generator im Pousada, aber man versucht dort Energie zu sparen, so gut es geht. Wir sahen das starke Fußballspiel Deutschland : Algerien der Copa im schwillenden Essenssaal des Pousada. Aber die Energie reichte auch nur für die Spielzeit. Also gab es für uns keine Vor-, Nach- oder was immer auch-Bereitung außer dem Hauptspiel.

Ein fotografisches Hindernis, dem ich mir auch vorher schon sehr bewusst war, war die Dunkelheit des Waldes. Ich wusste, dass ich auf die Wahl des richtigen Films achten müsste oder auf den richtigen Moment, wenn das Licht einen kurzen Moment durch die Baumdecke blitzt, immer wenn wir in die Dunkelheit des Waldes vordrangen. Manche meiner Bilder haben wirklich nur einen kurzen Lichtblitz abbekommen. Sie stellen die Atmosphäre des Amazonas dar, wenn du lautlos, ohne Ziel durch den Dschungel treibst. Einfach nur dein Sein genießend als winziger Bestandteil einer Kaskade von Vogelschreien und raschelnden Blätter von sich bewegenden Affen. Nachts lag ich in der Hängematte auf meiner Terrasse und lauschte den Klängen der Natur. Ich vermute, ich wollte einfach ein paar von ihnen in mir bewahren.

Eine der unmittelbaren Gefahren im Amazonas sind Piranhas, die glitschige Bedrohung mit einer Unmenge scharfer Zähne. Es gab ernsthaft einen Besucher des Pousada, der einen Piranha testen wollte. Er streckte seinen Finger nah an den Mund des Fisches und zap! Ein Teil des Besuchers war verloren gegangen. Ups, Kollateralschaden. Somit waren wir gewarnt, falls wir fischen gehen würden. Unser Guide hatte Augen und Ohren für das Aufspüren von Piranhas, hauptsächlich nah am Rand des Waldes – nicht zu tief, nicht zu kalt. Wir waren ausgestattet mit sehr einfachen Stangen und hatten den feinsten Köder, nach dem ein Piranha je beißen könnte: Hühnchenfleisch! Aber diese Kollegen mit ihren scharfen Zähnen sind gute Jäger. Du musst ein Gefühl fürs Wasser haben und für ihr Verhalten, ansonsten überlisten sie dich und schnappen sich ihren Hühnchen-Snack von deiner Stange bevor du auch nur P-i-r-a-n-h-a buchstabieren kannst.

Ich möchte offen und ehrlich sein: Ich bin wirklich schlecht im Piranha-Fischen. Ich fing zwei in zwei Stunden, was eine enttäuschende Quote ist. Es gab andere, die 20 Fische in ihrer Tasche hatten. Aber ich muss sagen, wenn ich sterben würde vor Hunger und mein lokaler Amazonas-Supermarkt wäre geschlossen, ich habe schon jeden Bissen dieser Piranha-Erfahrung genossen.

Ich bin sehr froh die Möglichkeit gehabt zu haben, in meinem Leben eine Zeit am Amazonas zu verbringen. Sie wird mir ganz sicher für immer in guter Erinnerung bleiben – die Geräusche, die Bilder und die Leute. Und ich möchte daran glauben, dass ich eines Tages dorthin zurückkehren werde.

Um mehr über das Pousada Uacari herauszufinden sieh dir ihre Webseite an.

geschrieben von wil6ka am 2015-06-27 in #Orte #location #amazonas #wil6ka #herr-willie
übersetzt von annelena1108

4 Kommentare

  1. zonderbar
    zonderbar ·

    wenn du nochmal hinfliegst @wil6ka, dann gib bescheid! ich will mit!

  2. wil6ka
    wil6ka ·

    @zonderbar ist gebongt!

  3. gepo1303
    gepo1303 ·

    Sehr coole Reportage, super Bilder wie immer...

  4. bloomchen
    bloomchen ·

    klasse reportage/reisebericht! macht lust!

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